Die Bilder sind noch frisch: Papst Benedikt XVI. trifft zu Weihnachten 2012 seinen Ex-Kammerdiener Paolo Gabriele, der ihn im Zuge der sogenannten „Vatileaks“-Affäre geheime Dokumente entwendet und einem italienischen Journalisten zugespielt hatte. Benedikt XVI. verzieh dem Kammerdiener. Gabriele hatte angegeben, er habe dem Papst helfen wollen, „gegen das Böse und die Korruption“ anzukämpfen.
Das Böse und die Korruption sind dem Vatikan über die Jahrhunderte wie ein böses Geschwür ans Bein gewachsen. Kriminelle Machenschaften, Mafia-Aktivitäten, Geldwäsche, Mord, Betrug – alles keine Begriffe aus dem Kirchenlexikon und doch wohl vertraut in den heiligen Hallen um den Petersdom. 1982 wurde Roberto Calvi, der damalige Generalmanager der vatikanischen Banco Ambrosiano (Spitzname „Der Banker Gottes“) wegen Geldwäscherei und Finanz-Verbrechen angeklagt. Doch noch bevor ihm der Prozess gemacht werden konnte, wurde er erhängt unter einer Londoner Brücke aufgefunden, seine Taschen gefüllt mit Ziegelsteinen. Das Verbrechen wurde nie aufgeklärt.
Nun rätseln Beobachter, welche Rolle die vatikanische Finanz-Mafia bei dem spektakulären Papst-Rücktritt gespielt haben könnte (offzielle Version - hier). Denn das Alter und die Gesundheit, wie offiziell angegeben, sind nur scheinbar vernünftige Gründe: Gesundheitlich ist Joseph Ratzinger fitter als manch ein Papst beim Dienstantritt. Und 85 Jahre sind für die meisten Priester der Welt eher ein Routine-Alter – sie versehen, wie die Päpste, ihren Dienst bis zum Tod oder wenn es wirklich gar nicht mehr geht. Zwar haben die Bischöfe ein Alterslimit, das in der Regel auch zur Verrentung führt. Für Päpste und ihr Amt galt jedoch bisher: Bis dass der Tod euch scheidet. Erst einmal, 1294, war Papst Coelestin V. nach wenigen Monaten zurückgetreten. Er war aber eher ein Irrtum der Geschichte.
Das kann man von Joseph Ratzinger nicht behaupten. Der Papst aus Deutschland galt als ideologischer Hardliner und als gemäßigter Kapitalismus-Kritiker. Er trug modische Schuhe und belebte den von seinen Vorgängern längst ins Kuriosen-Kabinett verbannten Hermelin-Pelz neu. Aber er war nur in Bekleidungsthemen ein Hedonist.
Er war vor allem gründlich. Und daher störte ihn die Lage der Finanzen nachhaltig. Durch die Kinderschänder-Skandale war die katholische Kirche in den vergangenen Jahren schwer unter Druck geraten. Die Spendergelder aus aller Welt flossen nicht mehr so reichlich. Immer wieder schrammte der Vatikan an den roten Zahlen vorbei. Am Ende des Jahres 2010 machte der Heilige Stuhl offiziell gerade mal ein Plus von 9,8 Millionen Euro.
Viele Geschäfte liefen nicht mehr. Die Verteilungskämpfe unter den an der Verwaltung der päpstlichen Reichtümer Beauftragten nahmen zu. Wie alle Finanzjongleure der Welt riskierten auch die päpstlichen Kämmerer immer mehr. So ist bis heute unklar, wie groß die Risiken sind, die der Vatikan aus seinen zahlreichen internationalen Spekulationen und Immobiliengeschäften vor sich herschiebt. Der Haushaltsbericht aus dem Jahr 2008 schreibt, dass der Papst Immobilien und Grundstücke im Wert von 424 Millionen Euro in Frankreich, England und der Schweiz hält. Dies sind nicht die Kirchen oder Klöster, das sind Immobilien, Äcker, Wohnhäuser. Allein in der Schweiz besitzt der Vatikan neun Immobilienfirmen. Im Zuge einer Intrige des ehemaligen Finanzchefs des Vatikans, gelangte vor einigen Jahren ein geheimer Haushaltsbericht an die Öffentlichkeit, aus dem sich ergibt, dass der Vatikan im Jahr 2008 über Barreserven in der Höhe von 340 Millionen Euro verfügt hat. Außerdem sollen die Nachfolger Petri 520 Millionen Euro in Wertpapieren und Aktien sowie eine Tonne Goldbarren im Wert von 19 Millionen Euro besessen haben.
Das war alles 2008 - also vor der Finanzkrise. Es ist völlig unklar, wie es wirklich um die Finanzen Roms steht. Klar ist nur: Die Verwaltung aller päpstlichen Reichtümer ist seit jeher geheim und intransparent und steht unter der Kontrolle von ausgebufften Finanz-Jongleuren. Diese profitieren davon, dass ihre Chefs – also die jeweiligen Päpste – von finanziellen Dingen keinerlei Ahnung haben, weil sie ja formal Armut, Keuschheit und Gehorsam gelobt haben.
Daher sind die kirchlichen Finanzinstitutionen in der Vergangenheit stets ein guter Boden für Kriminalität und Korruption gewesen. Das hatte sich auch unter Joseph Ratzinger nicht geändert: Erst im Mai 2012 wurde der Chef der Vatikanbank, Ettore Gotti Tedeschi, entlassen, weil er ins Visier der Korruptionsermittler aus Neapel geraten war. Gotti Tedeschi war zuvor Chef der Santander Italiens gewesen, die wiederum in den aktuellen Skandal mit der Monte dei Paschi di Siena verwickelt ist, gegen die aktuell ermittelt wird (mehr über den größten Banken-Skandal Italiens – hier). Bei der MPS soll auch die Vatikanbank mitgeschnitten haben, wie ein Manager der MPS am Montag vor dem Untersuchungsrichter in Siena aussagte. Ebenfalls in den MPS-Skandal verstrickt: Mario Draghi, der Chef der EZB.
In diesem Who-is-Who der globalen Finanzoligarchie nimmt sich der Papst aus Oberbayern wie eine exotische Gestalt aus. Tatsächlich hatte der Deutsche Joseph Ratzinger als erster Papst seit längerem versucht, etwas Ordnung in die dunklen Finanz-Machenschaften des Vatikan zu bringen. 2010 richtete er eine erste Aufsichtsbehörde ein. Nachdem er von der Expertengruppe des Europarats zur Bekämpfung der Geldwäscherei, Moneyval, unter Druck geraten war, ernannte der Papst den Schweizer Kriminalitäts-Experten Rene Brülhart, als Chef der Behörde. Brülhart sollte nun die immer noch verheerenden Transparenz-Kriterien der Vatikan-Bank in Ordnung bringen – in 7 von 16 Feldern im Bereich Geldwäsche entspricht der Vatikan nicht den internationalen Vorschriften.
Erst zu Weihnachten verfügte die Italienische Zentralbank, dass Touristen im Vatikan nicht mehr mit Kreditkarten zahlen dürfen – wie überhaupt alle Kreditkartenzahlungen an den Vatikan wegen der undurchsichtigen Geldströme verboten wurden (mehr hier).
Beobachter sind der Auffassung, dass der überraschende Rücktritt von Papst Benedikt vor allem einer Gruppe nützt: der vatikanischen Finanz-Mafia. Es ist denkbar, dass hochrangige Vertreter der Geld-Elite auf den wegen seiner Transparenz-Bemühungen mit Argwohn verfolgten Benedikt XVI. wirklich direkten Druck ausgeübt haben, um ihn zum Rücktritt zu bewegen. Es ist jedoch auch vorstellbar, dass der deutsche Papst ob der immer undurchsichtigeren Geschäfte selbst das Handtuch geworfen hat und sich nun zur Kontemplation der Schlechtigkeit der Welt in ein Kloster im Vatikan zurückziehen wird. Ebenso denkbar: Dass in den Wertpapier- und Aktiengeschäften noch einige Spekulations-Bomben schlummern, die die gesamten Finanzen des Vatikan gefährden. Auch das ist kein Thema für einen Scholastiker wie Ratzinger.
Tatsache ist: Vorgezogene Rücktritte oder Versetzungen von hochrangigen Kirchenmännern haben fast immer mit finanziellen Problemen in ihren Machtbereichen zu tun. Kircheninsider bestätigen den Deutschen Wirtschafts Nachrichten, dass es zu ähnlichen Vorkommnissen auch schon in deutschsprachigen Diözesen gekommen ist. Öffentlich gemacht werden diese Fälle nie, weil man über Geld in der Kirche ähnlich ungern spricht wie über Sex.
Für Rom bedeutet der Papst-Rücktritt in jedem Fall: Nun kann das vatikanische Kasino erst einmal unkontrolliert weiterlaufen, bis ein Nachfolger ernannt ist. Das soll bis Ostern geschehen sein. Dann muss sich der Neue erst einmal einarbeiten. Er wird mit den Sex-Skandalen andere Prioritäten setzen müssen als das liebe Geld. Für die vatikanische Finanz-Mafia ist mit dem Rücktritt des Professors aus Deutschland ein Interregnum angebrochen, dass sie nutzen werden: um zu tricksen, zu täuschen und sich zu bereichern, wie es im Umfeld der vatikanischen Finanzen seit Jahrhunderten Tradition ist.