Die Weihnachtsauftritte des Whistleblowers Edward Snowden zeigen eine weitere bizarre Facette dieses merkwürdigen Botschafters aus dem Reich der Geheimdienste.
Snowden sagte in einer Videobotschaft für den britischen Channel 4: „Ich arbeite immer noch für die NSA. Die einzigen, die das nicht wissen, sind die von der NSA.“
Dieser Satz, der von den willfährigen Medien sofort als besondere Respektlosigkeit Snowdens gegenüber der NSA akklamiert wurde, ist jedoch möglicherweise durchaus ehrlich gemeint. Niemand weiß wirklich etwas über Snowden. Seine Biografie ist durchzogen von Wirrungen und Halbwahrheiten, die von ihm selbst ausgestreut wurden. Die technisch perfekten Auftritte – wie der Weihnachtsauftritt von Channel 4 - werden inszeniert von einem professionellen TV-Team um die Dokumentarfilmerin Laura Poitras.
Für das Interview in der Washington Post, dass die Zeitung an Heilgabend veröffentlichte, beschreibt der Reporter genau, wo er Snowden in Moskau trifft, was er macht, wie er lebt – er sei eine „Hauskatze“, sagt Snowden in Anspielung auf seinen Hausarrest.
Snowdens Kernbehauptung lautet: Die NSA ist allmächtig und allwissend. Es gäbe keine Privatsphäre mehr, sagt Snowden in der Weihnachtsansprache. Die Kinder, die heute aufwachsen, werden nicht mehr wissen, was Privatheit ist. Das sei schade, denn die Privatsphäre definiere, wer man sei. Die Regierungen hätten ein weltweites Überwachungssystem geschaffen, „das alles sieht, was wir machen“. Die Visionen von Orwell in 1984 seien „nichts im Vergleich mit der heutigen Situation“.
In der Washington Post sagt Snowden: „Meine Mission ist erfüllt. Sobald die Journalisten zu arbeiten begannen, wurde alles, was ich zu tun versucht habe, bestätigt. Vergessen Sie nicht: Ich wollte nicht die Gesellschaft ändern. Ich wollte der Gesellschaft eine Chance geben zu bestimmen, ob sie sich ändern will.“
Wenn die Geheimdienste jedoch wirklich so allmächtig sind, wie Snowden behauptet: Warum fassen sie den „Verräter“ nicht? Warum sind die Stellungnahmen der US-Regierung zu Snowden so lauwarm und halbherzig. Am Dienstag sagte eine Sprecherin von Obama zum Interview in der Washington Post lapidar, dass Snowden weiter eines Kapitalverbrechens beschuldigt werde, und, wenn man ihn fasst, vor ein US-Gericht gestellt werde.
Snowden hat vor allem in Intellektuellen-Kreisen für enorme Panik gesorgt: Man könne keine Email mehr schreiben, jedes Wort auf Facebook sei gefährlich, ja selbst der Besuch einer Website könne moderne Dissidenten direkt ins Gefängnis bringen.
Beklagt haben dies unter anderem Schriftsteller in einem Aufruf – von denen nicht wenige sich seit dem Aufkommen des Internet störrisch weigern, auf Emails zu antworten oder einen Computer zu verwenden, weil sie diese Technologie als geisttötend und elitefeindlich halten. Man erinnere sich nur an Frank Schirrmachers Anti-Internet-Buch vor einigen Jahren – in dem bezeichnender Weise die Geheimdienste als Gefahr keine Rolle spielten, sondern nur die angebliche Verdummung.
Wenn aber die NSA alles weiß und jeden sofort fassen kann: Warum behelligt sie Snowden nicht ernsthaft? Warum kann Snowden – angeblich ohne technischen Apparat – Videobotschaften in die Welt versenden, mit Journalisten telefonieren, Emails austauschen, Besucher empfangen?
Tatsächlich kann nicht nur Snowden – im WP-Interview- , sondern mit ihm die ganze NSA stolz sagen: „Mission accomplished – wir haben unsere Mission erfüllt!“
Denn es gibt keine größere Auszeichnung für einen Geheimdienst, als von einem Insider als allmächtig, technisch kompetent und allwissend beschrieben zu werden. In der Regel kämpfen Geheimdienste ständig gegen das Image an, etwas vertrottelt und unfähig zu sein. Der größte Vorwurf dieser Art kam nach dem 11. September 2001: Warum haben all die Geheimdienste die Anschläge nicht verhindert? Nach dem 11. September wurden die Bürgerrechte dramatisch eingeschränkt. Heute reicht es für eine Regierung, einen missliebigen Bürger als „Terrorist“ zu bezeichnen – und der Betreffende ist vogelfrei und rechtlos wie im Mittelalter, auch wenn es sich um einen Irrtum handelt. Das System zur Aberkennung des Rechtsstatus als ultimative Repression gegen Andersdenkende ist heute weltweit gültig: In Ägypten hat die Putsch-Regierung am Mittwoch die Muslimbrüder geschlossen als Terror-Netzwerk eingestuft.
Warum jedoch ist der angebliche Staatsfeind Nummer Eins, der Landes-Verräter, der Geheimnisträger immer noch auf freiem Fuß und verbreitet Botschaften über die Medien?
Kann es sein, dass dieser Mann ein ganz anderes Spiel spielt? Kann es sein, dass die Medien, die immer auf der Suche nach Helden sind, zum Narren hält?
Bisher wirken die Auftritte Snowdens wie eine PR-Kampagne für die Professionaliät der US-Geheimdienste (mehr zu dieser Überlegung - hier). Snowdens „Enthüllungen“ sind von der NSA als Zeichen der Anerkennung interpretiert worden, wie NSA-Chef Keith Alexander ganz offen einräumt (mehr hier).
Die US-Regierung hat die Deutschen in beispielloser Weise abgebürstet, als diese versucht haben, die umfassende Spionage in Frage zu stellen (hier). US-Präsident Obama hat ausdrücklich gesagt, dass die USA ihre Spionage in keiner Weise einschränken werden (hier).
Mission erfüllt?
Edward Snowden hat der NSA nicht geschadet. Er hat – ob willentlich oder in jemandes Auftrag – der Weltöffentlichkeit eine eindeutige Botschaft übermittelt. Er ist sich dessen bewusst, weshalb seine Auftritte stets perfekt durchchoreographiert und durchaus pathetisch sind.
Snowden teilt der Weltöffentlichkeit mit: Ihr alle seid erpressbar. Gebt Acht, was ihr tut, jedes Wort kann gegen Euch verwendet werden.
Die Medien jubeln dem Großinquisitor zu, von dem sie glauben, dass er es auf die Mächtigen abgesehen hat. Sie ziehen die Möglichkeit nicht in Betracht, dass die eigentlich Beschuldigten die Bürger sind.
Das nennt man meisterhafte Dialektik.
Niemand weiß, wer Edward Snowden wirklich ist.
Snowden sagt, er wollte der Gesellschaft die Gelegenheit geben zu entscheiden, „ob sie sich ändern soll“.
In wessen Auftrag?
Wer verlangt eine Veränderung der Gesellschaft?
Wer plant eine Veränderung?
Edward Snowden arbeitet immer noch für die NSA.