Noch bevor Christoph Kolumbus Amerika entdeckte, existierte sie schon: Italiens älteste Bank, die Monte dei Paschi di Siena (MPS). Nun steht die Bank möglicherweise vor dem Kollaps. Am Freitag muss der italienische Steuerzahler zur Rettung antreten: Die Bank braucht 500 Millionen Euro, um zu überleben.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Italiener zu einem Bailout gezwungen werden: Im Herbst 2012 musste die Bank einen Kredit in Höhe von 3,9 Milliarden Euro vom italienischen Staat aufnehmen, um nicht zu kollabieren. Der Retter damals: Italiens technokratischer Premier Mario Monti.
Die MPS war durch wahnwitzige Geschäfte ins Trudeln geraten. Sie übernahm im Jahr 2007 die vergleichsweise unbedeutende Bank Antonveneta um sagenhafte 9 Milliarden Euro in Cash. Nur wenige Monate zuvor war die Antonveneta von der spanischen Santander gekauft worden, um 6,6 Milliarden Euro. Eine Wertsteigerung von fast 3 Milliarden Euro, nur wenige Monate vor dem offiziellen Ausbruch der weltweiten Finanzkrise? Der Bankenaufseher, der den Deal überwachen sollte: Mario Draghi, von 2006 bis 2011 Chef der italienischen Zentralbank, heute Chef der Europäischen Zentralbank (EZB).
In den Monaten nach dem unerklärlichen Deal versuchte die MPS, die sich abzeichnenden Verluste durch Derivaten-Geschäfte abzusichern (mehr zu den Derivaten bei den DMN - hier): Eine Milliarde Euro sackte dabei die Deutsche Bank ein. Projektname: „Santorini“. Doch die komplizierten Buchwerte reichten nicht, die Bank musste 1,9 Milliarden Euro vom italienischen Steuerzahler erhalten. Auch das reichte nicht. Weitere undurchsichtige Derivaten-Geschäfte folgten, eines mit der japanischen Nomura-Bank. Der Projektname: „Alexandria“. Das andere Geschäft trug den Namen „Nota Italia“. Es ist nicht bekannt, mit welcher Bank dieser Deal lief. Der Aufseher in allen Fällen: Mario Draghi.
2012 flog die verheerende Schieflage der Bank im Rahmen des europäischen Stresstests auf. Nun musste Mario Monti zur Rettung schreiten: Er gewährte der MPS einen Notkredit in Form von italienischen Staatsanleihen, in Höhe von 3,9 Milliarden Euro. Die Anleihen werden Monti-Bonds genannt. Zu diesem Zeitpunkt war Mario Draghi bereits Chef der EZB in Frankfurt – beauftragt mit der Stabilisierung des europäischen Bankenwesens.
Monti und Draghi versuchen nun, einander zu stützen: Beide sind ehemalige Goldman-Banker. Monti sagte in Davos, es habe beim Derivaten-Fiasko der MPS ganz gewiss kein Versagen der Bankenaufsicht gegeben. Beobachter waren erstaunt: Niemand hatte Monti danach gefragt. Die Erklärung: Monti wollte Draghi aus der Schusslinie nehmen, bevor die Öffentlichkeit unangenehme Fragen stellen konnte.
Die Legende der Goldmänner schiebt die Schuld nun dem damaligen Management der MPS zu. Der Chef der MPS, Giuseppe Mussari, soll das Debakel verursacht haben. Der „Versager“ Mussari war mittlerweile zum Chef-Lobbyisten der italienischen Banken aufgestiegen. Wie es Bauernopfer so an sich haben, ist Mussari am Dienstag von diesem Posten zurückgetreten – selbstverständlich „ohne Schuldeingeständnis“.
Der ehemalige Wirtschaftsminister Giulio Tremonti attackierte Draghi ungewöhnlich hart: Es sei „sehr verwunderlich“, dass die Bankenaufsicht die Irrsinns-Deals nicht bemerkt habe. Der aktuelle Finanzminister Vittorio Grilli nannte Draghi zwar nicht beim Namen, sagte jedoch: Es sei Sache der italienischen Notenbank gewesen, diese Geschäfte zu überwachen.
Die Zeitung Il Giornale, die Silvio Berlusconi gehört, fragt: „Was haben die Aufseher eigentlich gemacht? Geschlafen?“ Auch alle anderen italienischen Zeitungen stehen fassungslos vor dem Scherbenhaufen der Goldmänner. Ebenso alle Parteien, von denen die Monti-Gegner das unglaubliche Geschehen dankbar in ihren Wahlkampf einflechten.
Monti und das neue MPS-Management beeilten sich zu betonen, es handele sich um einen Einzelfall. Der Finanzblog Zerohedge fragt: „Wir kann man so schwachsinnig und naiv sein, zu glauben, dass das ein Einzelfall ist?“
Die Explosion der Derivaten-Bombe wirft ein Licht auf die tatsächlichen Probleme der europäischen Banken. Hunderte Milliarden an Schrottpapieren geistern immer noch durch die Bilanzen. Wie bei jedem schönen Schneeballsystem werden sie unter den Banken hin- und hergeschoben. Mal bescheren sie der einen einen Gewinn, mal der anderen einen Verlust. Bis zum bitteren Ende: Wenn dann der Steuerzahler den „Saldo“ ausgleicht.
Es ist vor dieser Entwicklung bemerkenswert, dass ausgerechnet Mario Draghi mit seiner EZB ab 2014 die Bankenaufsicht über alle europäischen Banken übernehmen soll. Seine lasche Kontrolle in Italien ist in der Branche bekannt. So hatte er unter anderem die Aufsicht, als sich Mitt Romney mit seiner Firma Bain Capital die „Gelben Seiten“ in Italien unter den Nagel riss, um sie wenige Monate später wieder dem italienischen Steuerzahler anzudrehen – mit einigen hundert Millionen Dollar Gewinn, steuerfrei abgewickelt über eine Holding im schönen Luxemburg, wo der Ex-Euro-Gruppenführer Jean-Claude Juncker („du sollst lügen!“) das Zepter schwingt.
Mario Draghi wird am Freitag beim Weltwirtschafts-Forum in Davos erwartet. Im Vorjahr war er als der Retter Europas gefeiert worden, weil er mit der ersten Geldschwemme die Banken beglückt hatte (hier). Am Freitag wird die EZB auch bekanntgeben, wie es eigentlich um die Rückzahlung dieser Kredite steht. Draghi dürften in der Schweiz einige unangenehme Fragen erwarten.
Er wird sie abbügeln. So wie der Europäische Gerichtshof die Frage von Bloomberg als unzulässig abgebürstet hatte, wie das eigentlich mit den Derivaten-Geschäften in Griechenland war, als die Euro-Krise ihren Anfang nahm (hier dieser Klassiker der Finanz-Krimis bei den DMN). Dieser Schrottpapier-Handel war von Goldman Sachs betreut worden. Der Europachef der Investmentbank in der fraglichen Zeit: Mario Draghi.
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