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Die legendäre Garantie der Spareinlagen durch Angela Merkel und Peer Steinbrück im Herbst 2008 geschah offenbar aus der begründeten Sorge, dass ein gigantischer Bank-Run ausbrechen konnte. In einem soeben veröffentlichten Interviewband erzählt der damalige Kanzleramtsminister Thomas de Maizière, wie die Regierung nach der Lehman-Pleite unter Druck geriet.
De Maizière räumt dabei erstmals ein, dass die Regierung für das legendäre Statement, dass die Spareinlagen sicher seien, eher improvisiert hätte – aus Ratlosigkeit, wie man eine Panik sonst verhindern könnte. Was die Bürger nicht wussten, als Merkel und Steinbrück vor die Kamera traten: Hinter den Kulissen hatte bereits ein Bank-Run eingesetzt, die Bundesbank war offenbar sehr besorgt wegen der Lage. In erstaunlicher Offenheit schildert De Maizière, dass die Regierung im Grunde nicht genau wusste, was sie eigentlich garantierte. Denn wegen des einsetzenden Bank-Runs sei keine Zeit mehr gewesen, über die genauen Konsequenzen der Einlagen-Garantie nachzudenken.
Der damalige Finanzminister Peer Steinbrück hatte schon in früheren Interviews eingeräumt, dass man im Grunde keine Rechtsgrundlage für eine solche Garantie gehabt hätte. Steinbrück sagte später, dass es, wenn die Bürger wirklich auf die „Patronatserklärung“ der Regierung für die Sparguthaben zurückgegriffen hätte, „sehr schwierig“ geworden wäre, alle Gelder auszuzahlen.
Thomas de Maizière über die Substanz der Garantie, den Deutschen am 5. Oktober 2008 die Sicherheit der Spareinlagen zuzusagen, im Wortlaut.
Frage: Ein Wochenende später drohte erneut Gefahr. Bis die Kanzlerin und ihr Finanzminister vor die Kameras traten und versprachen, dass die Spareinlagen sicher seien. Wie kam es zu diesem dramatischen Auftritt?
Thomas de Maizière: Es war klar gewesen, dass auch dieses Wochenende arbeitsreich sein würde. Für mich zunächst aber von Dresden aus. Dann hieß es, ich sollte wegen der Krise am Sonntagnachmittag im Kanzleramt sein, gegen 15 Uhr. Ich bin, einem siebten Sinn folgend, eine Stunde früher da gewesen, und kaum war ich da, kam die Frage auf, ob wir den Menschen versprechen, dass ihre Einlagen sicher seien. Zunächst gar nicht als strategische Überlegung…. sondern als Antwort auf Informationen der Bundesbank, dass es ein auffälliges Verhalten von Bankkunden gebe. Da werde in großen Mengen Bargeld abgehoben, da gebe es ein auffälliges Leerräumen von Bankautomaten. Das war alles unterhalb der Schwelle des systemisch Gefährlichen, aber oberhalb der Schwelle der Nichtbeachtung.
Jetzt war die Frage: Wie reagiert man darauf, ohne dass ein richtiger Banken-Run losgeht? Wir hatten so etwas nicht nur in Argentinien gesehen, sondern auch beim Kollaps einer britischen Bank in Großbritannien studieren können. Lange Schlangen vor den Banken. Also berieten wir, wie wir dem begegnen sollten. Die eine Denkschule empfahl: Wir beruhigen und sagen, dass das alles nicht so schlimm ist. Die andere riet: Wir garantieren die Spareinlagen,
um Sicherheit zu geben. Und es stellte sich im Laufe dieses Nachmittags schnell heraus, dass das die einzig mögliche Antwort war. Wir saßen mit Weidmann, Asmussen, Wilhelm und drei, vier Leuten im Kanzleramt zusammen, dazu Steinbrück, der zunächst noch im Finanzministerium war und später rüberkam, weil ja die Zeit drängte. Sollten wir tatsächlich etwas machen, würde das ja noch früh in den Nachrichtensendungen gesendet werden müssen, damit es auch die erhoffte Wirkung erzielen würde.
Hatten Sie nicht Angst, mit so einem Auftritt die Sorgen noch zu vergrößern statt zu verkleinern?
Doch, darüber haben wir viel nachgedacht. Ich habe das mit folgendem Bild verglichen: Wenn man ein Feuer, das glimmt, aus pusten will, holt man viel Luft und pustet es, wenn man gut ist, und schnell und entschlossen, auch wirklich aus. Das ist der günstige Fall. Wenn man schlecht pustet, zögerlich, vorsichtig, dann leistet exakt dieses Pusten einen zentralen Beitrag dafür, dass das ein richtig großes Feuer wird. Es gab das Risiko, dass Leute sagen: „Moment mal! Wenn diese ruhige Bundeskanzlerin, die nicht zur Panik neigt, plötzlich sagt: ,Euer Geld ist sicher!‘, dann ist es wirklich ernst! Und dann steht da auch noch der Steinbrück dabei, der auch gut Bescheid weiß. Na dann fange ich doch besser schon mal ganz schnell an, mein Geld abzuheben!“ Ganz klar, dann hätte die Garantie für die Spareinlagen das Problem erst heraufbeschworen.
Umgekehrt war auch klar: Wenn, dann geht das nur an diesem Sonntag. Und das war nun eine klassische Führungsentscheidung der Kanzlerin und Peer Steinbrücks, das zu machen. Höchst riskant! Sicher eine der schwersten politischen Entscheidungen. Es ist gutgegangen. Grandios. Aber es war nicht komplett zu Ende gedacht.
Wie meinen Sie das?
Es war zwischen siebzehn und achtzehn Uhr, es war großer Zeitdruck, die Bilder mussten noch ins Fernsehen, um zu wirken. Die beiden standen ehrlich gesagt ziemlich betreten da, aber damit war auch klar, dass da nichts inszeniert war. Dass die beiden da so unbeholfen standen, war unbeabsichtigt, aber Teil der positiven Wirkung. Und als dann alles gesagt und die Sache im Kasten war, stellte plötzlich einer die Frage: „Was genau ist eine Einlage? Was garantieren wir da eigentlich?“ Nicht viel später haben die ersten Journalisten uns das Gleiche gefragt. Unser erster spontaner Gedanke war: „Na, die Sparbücher!“
Daraufhin stellte sich jedoch sofort die Frage: „Reicht das? Wie viel Geld ist denn das? Herr Asmussen, wie viel Sparbucheinlagen haben wir eigentlich in Deutschland?“ Ein anderer fragte: „Gehören zu den Einlagen auch die Aktien?“ Unsere spontane Antwort darauf: „Aktienbesitz? Wir können doch nicht den Kurs von Aktien garantieren! Das geht ja gar nicht!“ Und was ist mit Anleihen? Investmentfonds? Staatsanleihen? Anlagen in Immobilien? Wie viele sind das überhaupt? Über all diese Fragen, die wir plötzlich diskutierten, wurde deutlich, dass das nicht bis ins Detail vorbereitet war, aber auch nicht sein konnte. Es war eben nicht Teil einer längeren strategischen Überlegung gewesen. Es entsprang den Sorgen an diesem Tag.
Die völlige Planlosigkeit im Kanzleramt und die reale Erfahrung eines Bank-Runs dürften die Hauptgründe dafür sein, warum Bundesfinanzminister Schäuble in der EU auf einen Beteiligung der Bank-Kunden bei der Rettung einer Bank besteht. Die Banken selbst halten die deutsche Einlagensicherung für „null und nichtig“ (hier). Um einen neuerlichen Bank-Run im Keim ersticken zu können, wurde offenbar in Zypern der Ernstfall geprobt (Schäuble: „So etwas macht man am Wochenende!“)
Die nun veröffentlichten Erinnerungen des damaligen Kanzleramtsministers Thomas de Maizière zeigen eindrucksvoll, dass die Politik 2008 sich nur noch mit einem Bluff aus der dramatischen Situation befreien konnte. Die Erklärung des Regierungssprechers aus dem März 2013, dass das Wesen einer Garantie sei, dass sie garantiert sei, ist im Lichte der Erinnerungen von De Maizière dahingehend zu verstehen: So wir wir damals geblufft haben, würden wir jederzeit wieder bluffen.
Die Erinnerungen bestätigen aber vor allem den Eindruck, dass die Bundesregierung alles unternehmen wird, um einen ähnlichen Moment der Ratlosigkeit in Zukunft zu verhindern.
Die technischen und organisatorischen Möglichkeiten für einen Zugriff der Regierungen auf die Bank-Konten der Bürger haben sich seit 2008 in der EU deutlich verbessert.
Das Beispiel Zyperns zeigt, dass die EU mittlerweile in der Lage ist, auch die „kontrollierte Sprengung“ einer Bank vorzunehmen. Kollateralschäden habe in diesem Fall jene zu tragen, die nicht in den Genuss der rechtzeitigen Information über die Sprengung gekommen sind (hier).
Diesen Text veröffentlichen wir mit freundlicher Genehmigung des Siedler-Verlags. Er ist ein Auszug aus dem sehr offenherzigen Interviewband „Thomas de Maizière, Stefan Braun: Damit der Staat den Menschen dient. Über Macht und Regieren.“; Siedler-Verlag 384 Seiten, 22,99 Euro. In dem Band beschäftigt sich der heutige Bundesverteidigungs-Minister De Maizière unter anderem mit den Verhandlungen zur Wiedervereinigung, den Kabinettsberatungen im Zuge der Finanzkrise sowie mit sehr grundsätzlichen Fragen von Politik, Moral und Korruption.
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