Der griechische Premier Antonis Samaras hat am Dienstag verfügt, dass der staatliche Rundfunk mit sofortiger Wirkung geschlossen wird. In der Koalition herrscht über diese Entscheidung helle Aufregung: Die sozialistische PASOK und die Linken haben angekündigt, die Entscheidung nicht mitzutragen.
Der Sender sollte im Lauf der Nacht zum Mittwoch off air gehen. Allerdings haben die Mitarbeiter das von Soldaten umstellte Funkhaus besetzt und senden in eigener Sache.
Samaras hatte am Dienstag völlig überraschend mitgeteilt, dass er den Staatsfunk per Dekret schließen werde. Damit verlieren 2.656 Mitarbeiter ihren Job. Der Rundfunk sei zu groß, zu ineffektiv und korrupt, teilte ein Regierungssprecher mit.
Samaras hat die Entscheidung ohne Rücksprache mit seinen Koalitionspartnern getroffen, behaupten diese am Abend. Allerdings sollen sie kurz vor der Entscheidung informiert worden sein. Eine Debatte im Parlament fand naturgemäß nicht statt.
Der Sender soll zu einem späteren Zeitpunkt mit weniger Mitarbeitern neu eröffnet werden.
Beobachter rätseln über den wahren Hintergrund der brachialen Maßnahme. Zum einen wird gemutmaßt, Samaras wolle der gerade in Griechenland weilenden Troika aus EU, EZB und IWF beweisen, dass er die versprochenen 2.000 Stellen im öffentlichen Dienst bis Juni einsparen kann.
Tatsächlich wird jedoch ein handfestes parteipolitisches Kalkül hinter der Entscheidung vermutet. Samaras wolle zunächst der linken Syriza die Plattform entziehen, deren Aktivitäten auf ERT stets umfassende Sendezeit erhielten.
Vor allem aber glauben die griechischen Medien, dass Samaras einen neuen Rundfunk aufbauen will, in dem dann an leitender Stelle Getreue der Neuen Demokratie sitzen sollen. Am Ende, so wird gemutmaßt, wird der neue Sender nicht viel kleiner sein als die ERT, allerdings mit den „richtigen“ Leuten an den Schaltstellen.
PASOK und die Linke protestierten heftig gegen die Entscheidung. PASOK-Chef Angelos Venizelos hielt sich jedoch eher bedeckt, weil er abwarten möchte, welche Seite in diesem Konflikt die stärkere ist. Allerdings haben andere PASOK-Mitglieder bereits angekündigt, dass sie gegen die Auflösung des öffentlich-rechtlichen Sender stimmen werden.
Beobachter halten es jedoch für denkbar, dass die Koalition wegen der autoritären Vorgehensweise von Samaras zerbrechen könnte. Der Konflikt um das Staatsfernsehen hat in jedem Fall zu der bisher schwersten Regierungskrise in der Amtszeit von Samaras geführt. Die Zeitung Kathimerini kommentiert, dass die Entscheidung des Premiers an die Zeiten der Diktatur in Griechenland erinnere. Die Zeitung vermutet, dass Samaras den Sender zu einem Zeitpunkt schließen wollte, wo die Großdemonstrationen nachgelassen haben. Es sei jedoch ein Irrtum zu glauben, dass die Krise in Griechenland vorüber sei.
Syriza-Chef Tsipras sprach von einem Staatsstreich.
Samaras will mit der Aktion jedoch auch von der Tatsache ablenken, dass bisher entgegen allen Beteuerungen kaum Posten im öffentlichen Dienst eingespart wurden. Der Premier hatte die Troika – wie schon seine Vorgänger in den Jahren 2010, 2011 und 2012 gebeten, ihm noch etwas mehr Zeit beim Abbau zu gewähren.
Die europäische Vereinigung der Öffentlich-Rechtlichen (EBU) zeigte sich entsetzt von der Schließung und forderte Samaras auf, die Entscheidung unverzüglich zu widerrufen.
Samaras hofft allerdings, dass die Griechen seine Initiative begrüßen werden: Denn vorübergehend entfallen dadurch 50 Euro pro Haushalt jährlich, die bisher für die Rundfunkgebühr mit der Stromrechnung abgezogen worden waren.
Noch im Jahr 2011 hatte Samaras, dessen Familie zahlreiche Angehörige bei dem Sender und seinen vielen TV-, Radio- und Internet-Ablegern untergebracht hat, eine Reform der ERT kategorisch abgelehnt und gesagt, der Sender müsse von den Sparmaßnahmen ausgenommen werden.
Von demokratisch legitimierten Entscheidungen kann in Griechenland offenbar keine Rede mehr sein.
Zum Trost sprach der luxemburgische Premier Jean Claude Juncker den Griechen bei einem zweitägigen Athen-Besuch seine Anerkennung aus. Er geißelte die Arroganz der europäischen Nordstaaten und gestand ein, dass die Euro-Retter in der Vergangenheit zu stark auf die Finanzmarkt-„Gurus“ gehört hätten. Jedenfalls sei Griechenland auf einem guten Weg und werde am Ende einer der Gewinner der Euro-Krise sein.
Das Portal Keeptalkinggreece merkte an, dass Juncker im Süden stets anders rede als im Norden. Wenn er wieder zurück in Luxemburg sei, werde er wieder auf die „Gurus“ hören.
Die Juncker-Rede an die Nation kann aus gegebenem Anlass derzeit im staatlichen griechischen Fernsehen nicht gesehen werden.