Politik

„Gotteslästerung“: Der lange Arm der Islamisten erreicht den türkischen Pianisten Fazil Say

Lesezeit: 2 min
21.09.2013 02:48
Ein Gericht in Istanbul hat den Star-Pianisten Fazil Say erneut wegen angeblicher religionsfeindlicher Aussagen verurteilt. Der Pianist will gegen den Gottesstaat vor dem Europäischen Gerichtshof Berufung einlegen. Die Türkei profiliert sich unter Recep Tayyip Erdogan als Vorhut der Islamisten.
„Gotteslästerung“: Der lange Arm der Islamisten erreicht den türkischen Pianisten Fazil Say

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Der türkische Pianist Fazil Say wurde am Freitag von einem Istanbuler Gericht, dem 19. Istanbuler Friedensgericht, wegen angeblich blasphemischer Äußerungen zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Im Urteil heißt es Say habe „die religiösen Gefühle eines Teiles der Bevölkerung öffentlich herabgewürdigt“.  Bleibt er in den zwei Jahren straffrei, wird die Haftstrafe aufgehoben.

Das erste Urteil hatte schon für Empörung gesorgt, wenngleich etwa die deutsche Politik die Kopf formvollendet in den Sand steckte (hier). Dann war das Urteil wegen eines Formfehlers aufgehoben worden (hier).

Nun hat sich der lange Arm Gottes von Premier Erdogan durchgesetzt.

Say lässt über Twitter wissen, dass er in Berufung gehen wird. Erst im April hatte ein Gericht ein fragwürdiges Urteil aufgehoben, weil die Bedingungen der Bewährung zu unklar waren.

Damals wurde er zu einer Haftstrafe, die auf fünf Jahre Bewährung ausgesetzt war, verurteilt. In diesen fünf Jahren hätte er keine „ähnlichen Äußerungen“ machen dürfen – ein gerichtlich auferlegtes Redeverbot. Says Anwälte hatten eine Prüfung des Urteils beantragt – mit Erfolg.

Das Urteil wurde aufgehoben und es sollte neu entschieden werden. Doch das beinhaltete keine neue Verhandlung. In der neuen Instanz konnte lediglich die Sachlage überprüft werden. Say hatte keine Chance, sich zu verteidigen. Die Haftstrafe blieb, lediglich die Bewährungszeit wurde gekürzt und die Bedingungen der Bewährung verändert.

Jetzt bleibt Say noch die Möglichkeit, vor den Kassationshof zu treten. Der Kassationshof ist die zweite und höchste Instanz. Genau das wird er tun, wie er über Twitter verkündete. „Sollte ich nicht freigesprochen werden, werden wir vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen“, so Say. In einer Erklärung an die Öffentlichkeit appelliert er vor Verkündung des Urteils an die Türkei:

„Schaut, meine Freunde, die westlichen Länder, die asiatischen Länder, Ihr könnt Euch sicher sein, ausnahmslos alle werden sich von dieser Haltung distanzieren, sie werden diese Intoleranz verurteilen. Mein Fall ist klein, aber erregt viel Aufmerksamkeit. Es geht noch weiter: Die Intoleranz und Härte bei den Gezi-Protesten, die inhaftierten Journalisten, die grundlosen Festnahmen, das alles zusammen, die ganzen ungerechten Dinge, die in der Türkei passieren, haben internationale Aufmerksamkeit erregt.

Einem Land, das sogar Witze über das Paradies und die Hölle bestraft, wird man natürlich nicht die Olympischen Spiele geben, auch viele andere Dinge die Türkei so nicht bekommen. Versteht das bitte.“

Say wirft vor allem den Medien Manipulation vor. Sein Fall sei in der Öffentlichkeit vollkommen falsch dargestellt worden. „Niemand muss ein und denselben Glauben teilen“, sagt Say. Seine Tweets stellen keine Verleumdung dar.

Bei seinen Tweets handelte es sich um Aussagen wie: „Du sagst, durch die Bäche wird Wein fließen, ist das Paradies etwa eine Schänke? Ich werde jedem Gläubigen zwei Jungfrauen geben, sagst du, ist das Paradies etwa ein Freudenhaus?”.

Die Türkei versteht jedenfalls keinen Spaß.

Denn Gott ist groß, und ihm fühlt sich die Regierung von Erdogan offensichtlich mehr verpflichtet als dem profanen Menschenrecht auf freie Meinungs-Äußerung.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Fünf Jahre Corona: Als Covid-19 die Welt in den Stillstand zwang
26.12.2024

Lockdowns, Masken, Grenzschließungen: Fünf Jahre nach dem Auftauchen der ersten Covid-19-Fälle hat die Corona-Pandemie weltweit ihre...

DWN
Politik
Politik Chaos und Dutzende Tote in Mosambik nach Wahlergebnis
26.12.2024

Seit der Verkündung des Wahlsiegs der Regierungspartei kommt es zu immer blutigeren Unruhen. Demonstranten befreien Gefangene und...

DWN
Immobilien
Immobilien In Life-Science-Immobilien investieren: Tipps für den Einstieg in die neue Assetklasse
26.12.2024

Immobilien in der Life-Sciences-Branche sind höchst spezialisiert und komplex - und für Investoren ein besonders spannender...

DWN
Politik
Politik Biden setzt Zeichen: Todesurteile werden zu lebenslangen Haftstrafen umgewandelt
25.12.2024

Der scheidende US-Präsident Joe Biden positioniert sich klar gegen die Todesstrafe auf Bundesebene. Sein Nachfolger Donald Trump vertritt...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft DWN-Interview: Hat Deutschlands Bergbau eine Zukunft?
25.12.2024

Deutschlands Bergbau steckt in einer kritischen Phase: Das Land verfügt über wertvolle Rohstoffe und ist in Bergbautechnologien führend....

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Klimaneutralität Deutschland: Wie der Ländervergleich die Fortschritte zeigt
25.12.2024

Deutschland muss seine Bemühungen zur Erreichung der Klimaziele des Pariser Abkommens intensivieren. Laut einer Bertelsmann-Studie...

DWN
Politik
Politik Auf einmal haben alle Ideen! Wahlkampfversprechen: Was die Parteien zu Steuern, Rente, Klima planen
25.12.2024

Die Wahlkampfprogramme der deutschen Parteien werden erst am kommenden Dienstag offiziell vorgestellt. Die Grundthemen und Positionierungen...

DWN
Politik
Politik CO2-Preis steigt - was das beim Tanken und Heizen bedeutet
25.12.2024

Das neue Jahr könnte mit höheren Preisen an der Tankstelle beginnen. Das liegt an einem steigenden CO2-Preis. Ab 2027 könnte sich dieser...