Deutschland

Bundestags-Vize Thierse: Lobbyismus ist eine gute Sache!

Lesezeit: 3 min
21.02.2013 11:24
Wolfgang Thierse glaubt, dass die Lobbyisten den Politikern helfen können, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die Politiker seien angewiesen auf Expertise von Interessens-Gruppen. Es sei nicht unanständig, wenn das Parlament eine „gute Idee von außen“ übernimmt und umformuliert. Bestechung sollte jedoch nicht erlaubt sein. An den eigenen Sachverstand glaubt Thierse nicht so recht.
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Der Vizepräsident des Deutschen Bundestags, Wolfgang Thierse, hat die Arbeit von Lobbyisten verteidigt. Thierse sagte dem DLF: „Lobbyismus per se ist nicht unanständig. In einer offenen Gesellschaft mit unterschiedlichen Interessen und Meinungen ist es ganz selbstverständlich, dass auch das Parlament mit den Interessen und Meinungen unterschiedlichster Personen, Institutionen und Verbände und Initiativen beschäftigt wird. Das ist auch in Ordnung so, unter ein paar einfachen Voraussetzungen. Erstens: Es darf sich nicht um versteckte Einflussnahme handeln, also Transparenz ist ein wichtiges Kriterium. Zweitens: Es darf kein Geld fließen, also Bestechung darf nicht erlaubt sein. Und es wäre wichtig, sage ich auch als einzelner Abgeordneter, wenn man jeweils erkennen kann, ob und wie Einfluss genommen worden ist und was im Ergebnis davon in einem Gesetz dann sich wiederfindet.“

Wenn dies gewährleistet sei, sei es geradezu erwünscht, dass Interessensvertreter an die Politik herantreten, um diese mit Rat und Tat zu unterstützen. Thierse: „Wir sind angewiesen auf Expertise von außerhalb. Deswegen haben wir doch eine Menge Instrumente, dieses Fachwissen, die Kenntnisse, die Interessen anderer kennenzulernen. Wir machen Anhörungen, wir holen Fachleute heran, von denen wir uns beraten lassen. Das ist doch in Ordnung so. Alles andere wäre doch fatal, wenn wir nur in unser geniales Gehirn oder auf unseren Bauch schauen.“ „Unternehmen, Unternehmerverbänd, Unternehmerinstitutionen, Gewerkschaften und Kirchen“ sollten fair zu Wort kommen können.

Thierse hat daher kein Problem damit, wenn die „Expertise“ der Lobbyisten Einzug in die Gesetze hält. Auf die Frage, ob man nicht transparent machen sollte, woher die Expertise gekommen sei, sagt Thierse (wörtlich): „Das wäre, glaube ich, ganz vernünftig, was leichter gefordert ist als erfüllt, denn wenn man eine Idee, die von außen kommt - wie gesagt: das ist zunächst mal eine neutrale Betrachtung -, eine Idee, die von außen kommt, wenn man sie aufnimmt, umformuliert, zu etwas eigenem macht, ist sie ja nicht mehr die Idee. Aber ich glaube nicht, dass es jemandem schadet, wenn man sagt, dieser und dieser Vorschlag ist von daher gekommen. Das kann man doch in einem Annex in einem Gesetzentwurf durchaus mitteilen im Begründungszusammenhang.“

In diesem Begründungszusammenhang ist festzuhalten: Wolfgang Thierse kommt aus der DDR und hat idealistische Vorstellungen von der Politik. Er verkennt jedoch vollkommen, dass eine ordentliche Politik nur dann gemacht wird, wenn die Politiker selbst ein gewisses Maß an Sachverstand haben. Die Attitüde der Volksvertreter, alles sei so kompliziert und daher müsse man sich in allen und jedem „Ideen und Expertise“ von außen aufschwatzen lassen, ist einer der Hauptgründe der fundamentalen Krise der Demokratie.

Im Fall des ESM beispielsweise haben sich tausende Bürger durch intensive Beschäftigung selbst Expertise angeeignet. Eine Umfrage der DMN bei den Bundestags-Abgeordneten belegte dagegen, dass der Kenntnisstand der Mandatare kaum das Grundschul-Niveau erreichte.

Die mangelnde Beschäftigung der Materie bei den Abgeordneten rührt aus einer Mischung von wohligen Angst vor dem Fraktions-Diktat Hier wird dem freien Abgeordnetie lästige Pflicht zum Selber-Denken abgenommen), einer opportunistischen „Arbeits“-Schwerpunkte (warum muss der Mandatar zu Weinprobe, anstatt in dieser Zeit das ESM-Gesetz zu lesen?) und Faulheit.

Daher berufen sich Leute wie Thierse dann gerne auf „Fachleute“, deren „gute Ideen“ in „verändertem Wortlaut“ zu „Gesetzen“ werden. Dass sie hier fast immer knallharten Interessens-Vertretern, skrupellosen Geschäftmachern und lupenreinen Demokratie-Verächtern aufsitzen, märken Thierse & Co. offenbar gar nicht. Ober aber sie begeben sich bewusst in deren Hände und kommen in den Genuß irgendwelcher Vergünstigungen. Gerhard Schröder scheffelt richtig Kohle bei Gazprom, Joschka Fischer wird reich bei Nabucco - in ihrer Amtszeit haben die beiden dagegen sicher eine blütenweiße Weste vorzuwerfen. Gegen die Honorare der rot-grünen Spitzenpolitiker sind die Einnahmen von Peer Steinbrück gradezu bescheiden. Aber für alle hat es sich gelohnt, dass sie sich von außen gute Ideen herangeholt haben, die, etwas umformuliert, zu Gesetzen wurden.

Wolfgang Thierse denkt als Ostdeutscher dagegen, dass eine Gesellschaft am besten ohne Geld funktioniert (solange es sie noch gibt), will er nicht so weit gehen wie Silvio Berlusconi. Dieser ist der Meinung, dass Korruption eine gute Sache ist (hier). Thierse lehnt die persönliche Bestechung ab. Was er übersieht: Es ist für die Gesellschaft auch volkswirtschaftlich meist schlimmer, wenn ein moralisch hochwertiger, fachlich jedoch inkompetenter Politiker Gesetz beschließt, die am Ende den Steuerzahlern das Geld in unvorstellbarem Maße aus der Tasche ziehen.

Wenn sich Angela Merkel mit den Banken trifft (hier), bekommt sie sicher kein „Bimbes“, wie es für ihre Ziehväter Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble noch selbstverständlich war. Doch auch ohne persönlichen Vorteil ist der Schaden, den Merkel etwa durch die interessensgesteuerte Beratung von Goldman und der Deutschen Bank beim ESM angerichtet hat, die wahre Bedrohung der Demokratie.

Fazit: Lobbyismus ist deshalb ganz und gar keine gute Sache, weil er auf ahnungslose und bequeme Politiker trifft, die nichts anderes im Sinn haben als ihr eigenes Überleben und die sichere Ausrede, dass am möglichen Untergang „die anderen“ schuld waren. Im Fall der Lobbyisten bleibt am Ende nur die moralische Empörung. Die einmal in Gesetzesform gegossenen „guten Ideen“ haben sich für die symbiotisch verbundenen Akteure aus der Politik und dem Politik-Beeinflussungs-Business längst gelohnt, wenn am Ende dem Steuerzahler die finale Rechnung präsentiert wird.


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