Die EU zieht still und leise immer mehr Kompetenzen an sich. Und sie tut dies nicht über das Europäische Parlament, sondern über Kommittees. Diese demokratisch in keiner Weise legitimierten Zusammenkünfte treffen sich in Brüsseler Hinterzimmern und legen die Grundlage für die Gesetzgebung.
Das jüngste Beispiel: In der gesellschaftpolitisch höchst relevanten Frage, ob Wasser privatisiert werden soll, wurde der Deutsche Bundestag zu einem Statisten-Ensemble degradiert (hier). Interessant war die Argumentation der Bundesregierung, dass die EU hier entscheiden werde und man in Brüssel schon dafür sorgen werde, dass die richtige Entscheidung getroffen werde. Wer die EU eigentlich ist, blieb offen - und das aus gutem Grund: Denn die EU ist in diesem Fall nicht das EU-Parlament, sondern die Kommission. Und die hat sich, bestehend aus nicht gewählten Ex-Politikern aus den Mitgliedsländern, darauf spezialisiert, Gesetze außerhalb von demokratischen Strukturen durchzudrücken.
Dies erfolgt auf ganz legale, offene Weise. Die Grundlage findet sich im Wesen des Gesetzgebungsverfahrens der EU. Ein Licht darauf wirft ausgerechnet ein ehemaliger Lobbyist, der den Prozess von innen kennt. Immer stärker werden nämlich in der EU Gesetze über so genannte „technische“ Weisungen entwickelt, sagte der Lobbyist Daniel Gueguen dem EUObserver. Ein Prozess, in den nur eine kleine Gruppe im Vorfeld einen Einblick und Mitbestimmungsrechte hat. Am Ende darf das Parlament dann Ja oder Nein dazu sagen. Das sei nicht „illegal, aber völlig undemokratisch (totally out of democracy)“.
Die Tatsache, dass nicht alle Abgeordneten in die Gesetzgebungsverfahren mit einbezogen werden, erleichtert der Kommission die Durchsetzung neuer Regelungen. Oft sind die vorgelegten Gesetze zu kompliziert, um sie in kurzer Zeit zu begreifen. Oder es wird nur über einen Rahmen abgestimmt und die Details werden im Nachhinein von der Kommission ausgearbeitet. Das hilft, schnell einen politischen Konsens in sensiblen Bereichen zu erzielen. Es ist jedoch vor allem äußerst intransparent und verleiht der Kommission viel Macht.
„Die Kommission setzt mehr und mehr auf delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte“, so auch Jorgo Riss, Leiter des EU-Büros von Greenpeace. Dies erhöhe aber das Risiko, dass man nicht rechtzeitig wisse, worüber entschieden wird. Wie umfangreich die Macht der Kommission ist, zeigt sich bei den aktuellen Vorschlägen zur Agrarpolitik. Hier gibt es vier Verordnungen mit etwa 400 Artikeln und mehr als die Hälfte dieser wird in Hinterzimmern über die delegierte Rechtsakte oder Durchführungsrechtsakte ausgearbeitet.
Diese technischen Weisungen an die EU-Kommission sind völlig legal, sie sind im Lissabon-Vertrag verankert. Bei delegierten Rechtsakten beispielsweise kann sich die EU-Kommission „auf die politische Ausrichtung und die Ziele konzentrieren, ohne sich auf Diskussionen zu technischen Aspekten einlassen zu müssen“, heißt es vonseiten der EU. Noch beliebter sind die Durchführungsrechtsakte. Hier gibt es Ausschüsse (Komitologie), in die die Mitgliedsländer Experten entsenden, die mit einer kleine Gruppe aus der Kommission und dem Parlament die Details zu den Gesetzen ausarbeiten. Gueguen bezeichnet dies als „eine höllische Trilogie“, weil sie dem Parlament die breite Kontrolle entzieht. Eine wirkliche Abstimmung im Plenum ist so nicht gegeben.
Oft winken die Parlamentarier die Gesetze nur durch, um Gesetzgebungsverfahren nicht zu blockieren oder zu verzögern, so der ungarische Abgeordnete Jozsef Szajer. Da die Abgeordneten die Details und den Prozess bei der Entwicklung der Gesetze nicht kennen, ist es ihnen oft nicht möglich tatsächlich den entsprechenden Gesetzesentwurf zu bewerten. Diese sind oft hunderte Seiten lang und nicht immer sofort in der entsprechenden Landessprache der Abgeordneten verfügbar.
So nutzt die Kommission die ihr gegebene Macht, um schnell umfangreiche Gesetze zur Privatisierung des Wassers, zum ESM und zum Fiskalpakt durch zu drücken. Die Tragweite dieser über delegierte Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte ausgearbeiteten Gesetze ist den Abgeordneten dementsprechend in der Regel nicht klar. Die fehlende Kenntnis und Zeit der Abgeordneten nutzen somit nicht nur die Lobbyisten in Brüssel, sondern auch die Kommission (hier).