In der Diskussion um eine gemeinsame europäische Haftung für die Staatsschulden sagte Bundes-Finanzminister Wolfgang Schäuble, dass eine solche Vergemeinschaftung der Schulden grundsätzlich möglich sei. Dazu müssten die EU-Verträge geändert werden. Diese Position hat Schäuble schon auf dem Gipfel von Dublin vertreten - und damit den EU-Kommissaren Olli Rehn und Michel Barnier widersprochen. Diese wollen vor allem eine Bankenunion - und die schnell. Denn wenn die Verträge wirklich geändert werden müssen, würde das mindestens ein Jahr dauern. In einigen Ländern werden zu solchen Themen nämlich die Bürger befragt.
Schäuble und Merkel signalisieren mit dem Schuldentilgungsfonds Bereitschaft, über eine gemeinsame Haftung in Europa nachzudenken. Die konkrete Form des Fonds folgt einem Vorschlag des deutschen Sachverständigenrats (mehr zu der konkreten Form hier).
„Wir sind nicht egoistischer oder unnachgiebiger als andere“, sagte Finanzminister Schäuble in einem Interview mit der französischen Zeitung Les Echos:
Wir haben uns beide in den letzten Jahren mit ganzer Kraft für die Stabilisierung und wirtschaftlichen Belebung der Eurozone eingesetzt und Hilfspakete für angeschlagene EU-Mitgliedstaaten geschnürt. Ich weiß nicht, ob all unsere Kritiker dasselbe von sich behaupten können. Anstatt die wirklichen Ursachen für die aktuellen Probleme anzugehen, suchen bestimmte Politiker lieber einen Sündenbock.
Zuletzt hatte Hollandes sozialistische Partei Angela Merkel als egoistisch bezeichnet und als Verantwortliche für die Krise bezeichnet (hier).
Schäuble schloss einen europäischen Schuldentilgungsfonds nach der Bundestagswahl nicht mehr explizit aus. Er verweist jedoch darauf, dass die Einrichtung eines solchen Fonds nach den Vorschlägen des Sachverständigenrats der Bundesregierung „ohne eine Abänderung der europäischen Verträge definitiv nicht möglich“ sei. Doch mit Blick auf die Bankenunion steht Deutschland derzeit an vorderster Front, wenn es um die Änderung der EU-Verträge geht.
Schließlich kam Schäuble zu seinem Lieblingsthema: der deutschen Souveränität. Diese hält Schäuble ohnehin nur für eine temporäres Phänomen, das in Deutschland noch nie richtig funktioniert hat (sein Masterplan - hier).
Wenn „wir das Konzept Europa langfristig richtig leben wollen“, komme man um eine Reformierung und Demokratisierung der Institutionen nicht herum. „Damit wäre selbstverständlich auch die Aufgabe eines Teils der nationalen Souveränität verbunden“, so Schäuble. Hierin sieht der Finanzminister auch kein Problem:
Einen Teil der nationalen Souveränität aufzugeben, ist für einen Franzosen sehr viel schwerer als für einen Deutschen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Deutschland durch eigenes Verschulden schon einmal für einige Jahre die Erfahrung beschränkter Souveränität gemacht. Die Staatsgewalt lag in den Händen der alliierten Besatzungsmächte.
Das ist eine bemerkenswerte Kausalität: Weil Deutschland wegen des Nazi-Terrors vorübergehend unter alliierte Kuratel gestellt wurde, scheint der Wert der nationalen Souveränität für Wolfgang Schäuble eine verhandelbare Größe zu sein. Das grenzt fast an freiwillige Selbstaufgabe angesichts der drückenden Schuldenlast in Europa.
Merkel und Schäuble sind verbal bereit, mehr nationale Souveränität abzugeben. Es gebe einfach Bereiche, in denen die EU-Kommission das letzte Wort haben müsse, so Angela Merkel Ende April (hier).
Ob Schäuble das alles wirklich ernst meint, ist schwer zu beurteilen.
Die Aussagen Schäubles sollen jedenfalls dazu dienen, die europäischen Partner zu beruhigen - und den Deutschen zugleich helfen, das Gesicht zu wahren. Die Erlaubnis der EU, dass Frankreich sein Defizit weiter erhöhen darf, zeigt Deutschland die Grenzen seines Einflusses auf.
Zugleich weiß Schäuble, dass der EU die zeit davonläuft: Ohne eine Banken-Union bricht in einigen Ländern das Chaos aus, wenn die erste Bank gegen die Wand fährt.
Was im Moment nicht mit freiem Auge zu erkennen ist, ist, ob es sich bei den Aussagen Schäubles um die verbale Absicherung für den Ausstieg Deutschlands aus dem Euro handelt (Plan B - hier) - oder aber, ob sich Merkel und ihr Finanzminister tatsächlich schon auf eine Rückzugsgefecht befinden. .
Die EU und die EZB wollen die Krise möglichst weginflationieren (hier). Das wird wegen der verheerenden Folgen für die deutschen Sparer in der Tat nur gelingen, wenn Deutschland einen Teil seiner Souveränität aufgibt.
Für die deutschen Bürger wird sich dann zeigen, dass ihr Glaube, sie seien wenigstens der Souverän ihres Portmonnaies, ebenfalls nur eine Illusion gewesen ist.