Die Marktwirtschaft hat in Deutschland massiv an Akzeptanz verloren. Sie gilt zwar als produktiv, wird aber für die zunehmende Ungerechtigkeit im Land verantwortlich gemacht. Die Deutschen wollen ein staatlich kontrolliertes Wirtschaftssystem.
Fast zwei Drittel der Deutschen (65 Prozent) beurteilen die wirtschaftlichen Verhältnisse im Land als „im Großen und Ganzen nicht gerecht“, zitiert die FAZ eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach. Nur 18 Prozent sagen, die wirtschaftlichen Verhältnisse seien gerecht. Von 1964 bis Anfang der 90er Jahre waren die Anteile ungefähr gleich groß. Seitdem steigt die Unzufriedenheit.
61 Prozent der Deutschen sagen heute, dass die soziale Gerechtigkeit in den vergangenen drei, vier Jahren abgenommen hat. 26 Prozent sagen, sie sei gleich geblieben. Nur 7 Prozent der Deutschen sagen, die soziale Gerechtigkeit habe zugenommen.
Für die Zunahme der Ungerechtigkeit wird offenbar die Marktwirtschaft verantwortlich gemacht. Dies zeigen die Reaktionen in einem Assoziationstest. Die Marktwirtschaft wird mit „Gier“ (56 Prozent), mit „Rücksichtslosigkeit“ (53 Prozent), „Ausbeutung“ (51 Prozent) und „hohen Preisen“ (49 Prozent) verbunden.
Zwar verbinden 68 Prozent der Deutschen die Marktwirtschaft mit einer „guten Güterversorgung“ und 66 Prozent mit „Wohlstand“. Doch mit dem Begriff „soziale Gerechtigkeit“ verbanden die Marktwirtschaft nur 12 Prozent der Befragten, mit „Menschlichkeit“ sogar nur 10 Prozent.
Immer mehr Deutsche wollen die Marktwirtschaft durch ein „staatlich organisiertes Wirtschaftssystem“ ersetzen. Letzteres wird verbunden mit „Sicherheit“ (51 Prozent), „sozialer Gerechtigkeit“ (43 Prozent) und „Menschlichkeit“ (27 Prozent).
Große Teile der deutschen Bevölkerung wollen ein stärkeres Eingreifen des Staates in das Wirtschaftsleben. 33 Prozent der Deutschen fänden es besser, wenn der Staat mehr eingreift, nur 24 Prozent meinen, er sollte weniger stark in die Wirtschaft eingreifen. 29 Prozent befürworten das derzeitige Niveau der staatlichen Aktivitäten.
In den alten Bundesländern sagten 36 Prozent der Befragten, dass es ihnen in einem stärker staatlich kontrollierten System nicht schlechter gehen würde als in der sozialen Marktwirtschaft. In den neuen Ländern sind es sogar 42 Prozent.
Der massive Zuspruch der Deutschen zu einer staatlich kontrollierten Wirtschaft wird auch daran deutlich, dass negative Folgen staatlichen Eingreifens darauf zurückgeführt werden, dass der Staat zu wenig eingreift. Dies zeigen die Antworten auf folgende Frage:
„Einmal angenommen, in einem Land gibt es eine wirtschaftliche Krise. Um die Folgen der Krise abzumildern, greift der Staat in die Wirtschaft ein. Er legt Preise fest, unterstützt in Not geratene Unternehmen und verhindert, dass Leute entlassen werden. Allerdings verbessert sich die wirtschaftliche Lage trotz der Maßnahmen nicht. Wie sollte sich der Staat Ihrer Meinung nach nun verhalten?“
Nur 15 Prozent der Befragten sagten, dass der Staat die unwirksamen Maßnahmen zurücknehmen sollte. 40 Prozent sagten, der Staat dürfe die Maßnahmen auf keinen Fall zurücknehmen, damit nicht alles noch schlimmer werde. 25 Prozent meinten, unter diesen Umständen müsse der Staat noch mehr in die Wirtschaft eingreifen.
Staatliche Preiskontrollen finden in großen Teilen der Bevölkerung viel Zuspruch. Fast die Hälfte der Befragten (46 Prozent) sagte:
„Ich fände es gut, wenn der Staat Obergrenzen für die Preise von Grundnahrungsmitteln festlegen würde. Durch solche Höchstpreise könnte man sicherstellen, dass die Preise für Grundnahrungsmittel nicht so stark steigen und sich jeder diese weiterhin leisten kann.“
Nur 37 Prozent der Deutschen unterstützen die marktwirtschaftliche Gegenposition:
„Ich glaube, dass es nicht gut wäre, wenn der Staat die Obergrenze für die Preise von Grundnahrungsmitteln festsetzen würde. Dann könnte es passieren, dass einige Grundnahrungsmittel knapp werden oder gar nicht mehr angeboten werden, weil den Unternehmen die Gewinne zu klein erscheinen.“
Bei einer analog formulierten Frage, bei der es um die Mieten ging, entschieden sich sogar 71 Prozent für eine staatlich festgelegte Preisgrenze.
Diese erstaunlichen Ergebnisse belegen, dass die staatliche Propaganda über Jahrzehnte ebenso Wirkung zeigt wie das katastrophale, unmoralische oder kriminelle Verhalten von vielen Managern in Banken und Industrie-Unternehmen.
Der Liberalismus, der sich im vergangenen Jahrhundert auch in Großbritannien seinen Weg bahnen musste, ist in Deutschland nie wirklich in der breiten Fläche angekommen: Der Glaube an das Bewährte war immer stärker als die Bereitschaft zu unternehmerischem Risiko.
Die Deutschen unterliegen in ihrer Sehnsucht nach Ruhe und Ordnung von oben jedoch einer verhängnisvollen Illusion. Sie glauben, dass die Leiter einer Planwirtschaft die gutmütigen Herrscher seien, die nichts anderes wollen als das Wohl aller. Doch genau das wollen sie nicht: Sie wollen die Interessen jener Gruppen befriedigen, die sie gewählt haben oder die ihre Macht sichern können. Diese Befriedigung geht immer auf Kosten anderer. Je undurchschaubarer diese Planwirtschaft wird, umso ungerechter wird sie. Je knapper die Güter, umso brutaler wird der Verteilungskampf.
Am Ende bedeutet Planwirtschaft das Ende der Demokratie. Sie ist nur in einem System zu haben, das Friedrich Hayek eine „plebiszitäre Diktatur“ nennt. Wirkliche Demokratie dagegen, so Hayek in „Der Weg zur Knechtschaft“, „ist nur um den Preis zu haben, dass allein solche Gebiete der bewussten Lenkung unterworfen werden können, auf denen eine wirkliche Übereinstimmung über die Ziele besteht, während man andere Bereiche sich selbst überlassen muss.“
Diese Gegen-These zur Planwirtschaft heißt Freiheit und ist wesentlich anstrengender als der blinde Gehorsam gegenüber Technokraten.
Freiheit und Gerechtigkeit zu balancieren ist die Kunst der Demokratie.
Die Diktatur beginnt im Kopf.
Deutschland befindet sich auf keinem guten Weg.