Deutschland

Datenkrake: Bertelsmann sammelt Adressen bei Kindern

Lesezeit: 3 min
02.03.2013 02:44
Die Bertelsmann-Tochter InmediaOne verteilt über Schulen gezielt Gutscheine an Kinder, um an deren Daten zu kommen. Im Gegenzug dafür erhalten diese ein Buch und weitere Werbung. Doch nicht nur datenschutzrechtlich ist dies fragwürdig. Datenschützer kritisieren vor allem die Rolle, die Schulen dabei spielen.
Datenkrake: Bertelsmann sammelt Adressen bei Kindern

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Wenn es um die eigenen Rechte geht, sind Verlage sehr streng und kaum nachgiebig. Erst am Freitag verabschiedete der Bundestag das so genannte Leistungsschutzrecht. Demnach dürfen Suchmaschinen und Nachrichten-Anbieter nur mehr stark verkürzte Texte ohne weiteres publizieren. Ansonsten müssen diese zukünftig Lizenzgebühren an Presseverlage bezahlen. Wie genau dies umgesetzt werden soll, ist jedoch noch unklar. In jedem Fall pochen die Verlage damit auf ihr Urheberrecht. In Sachen Rechte bei der Aggregation von Daten nehmen es die Verlage jedoch nicht immer so genau, wie sich bei der Bertelsmann Tochter InmediaOne zeigt.

Seit Jahren erhalten Kinder an unterschiedlichen Schulen deutschlandweit so genannte Gutscheine der Firma. Die Eltern müssten lediglich die Daten ihrer Kinder auf dem Gutschein ausfüllen und ihn zurücksenden, dann erhalten die Kinder ein kostenloses Buch. Damit verschafft sich Bertelsmann über InmediaOne tausende Datensätze von Kindern und kann diese wiederum für Werbezwecke nutzen.

Wie Bertelsmann den Deutschen Wirtschafts Nachrichten bestätigte, werden Daten die der Kinder gespeichert. Durch die Unterschrift der Eltern auf dem Gutschein geben selbige quasi auch die Zustimmung zur Kontaktaufnahme per Telefon. Dass es sich bei den so gesammelten Daten um die Daten von Kindern handelt, spielt für Bertelsmann keine Rolle. Da die Adressdaten der Kinder denselben Datenschutzkriterien wie alle Adressen unterliegen würden. „Und wir behandeln die Daten selbstverständlich sehr sorgsam“, so Bertelsmann. „Wir sprechen im nächsten Schritt ja die Eltern an, nicht die Kinder“. Die Daten der Kinder würden dann „unseren Verlagspartner für die Terminierung zur Verfügung gestellt, um im Direktvertrieb unsere Bildungsprodukte vorzustellen“. Diese würden dann die Familien kontaktieren, so Bertelsmann. An Dritte würden die Daten jedoch nicht weitergegeben, so Bertelsmann.

Mit den Gutscheinen ködert Bertelsmann die Eltern der Kinder und bringt diese so dazu, die Daten ihrer Kinder herauszugeben. Daten, die normaler Weise schwer zugänglich sein sollten. Die Datenschutzbeauftragten Nordrhein-Westfalen haben bei ihrer letzten Überprüfung der Gutschein Aktion 2011 „im Ergebnis keine datenschutzrechtlichen Fehler festgestellt“, teilten sie den Deutschen Wirtschafts Nachrichten mit.

Anders hingegen sieht es der Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, Thilo Weichert. Er kritisiert, dass Bertelsmann nicht klar angebe, wer die so genannte „Verlagspartner seien“. Aber auch die Äußerung Bertelsmanns, die Daten würden genutzt‚ um im Direktvertreib die eigenen Bildungsprodukte vorzustellen, sei „an Unbestimmtheit kaum zu überbieten“, sagte Weichert den Deutschen Wirtschafts Nachrichten. „Wenn dann die Rede davon ist, dass die ‚Familien kontaktiert‘ werden, kann das bis zum belästigenden Hausbesuch gehen“, sagt Weichert. Darüber hinaus sei die Aussage, die Daten würden nicht verkauft, „Augenwischerei“. Die „Weitergabe der Daten an die Verlagspartner passiert bestimmt nicht für lau und reinem Informationsinteresse“, so Weichert. Denkbar sei außerdem, dass die Daten zwar nicht verkauft, aber eben vermietet würden, „also nur für die Werbungsversendung im Auftrag genutzt werden“.

Im Gespräch mit der entsprechenden Aufsichtsbehörde in Baden-Württemberg kam es hinsichtlich der Gutscheine noch zu einem weiteren fragwürdigen Aspekt bezüglich der Gutschein-Aktion. Wenn die Schule diese Gutscheine an Kinder verteilt, so Peter Diekmann, der stellvertretende Datenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg, „gibt es immer einen gewissen Anteil von Eltern, die dann denken, die Schulen würden diese Gutschein-Aktion bzw. die angebotenen Bücher empfehlen“. Bemerkenswert sei in diesem Zusammenhang auch, dass die Gutscheine sogar einen Schulstempel aufwiesen.

Bei Gutscheinen, die in Baden-Württemberg an Schulen ausgegeben wurden, sollten die Eltern außerdem das entsprechende Unterrichtsfach, das für ihre Kinder interessant sei, ankreuzen und wurden darum gebeten, den Gutschein zeitnah in der Schule abzugeben. Hier sieht Peter Diekmann eine weitere Problematik. Auf den Weg Bertelsmanns über die Schule ist seiner Meinung nach das Interesse zu richten. Dadurch, dass die Eltern bzw. Kinder die Gutscheine wieder in der Schule abgeben sollen, fungiert die Schule quasi als Adressensammler für Bertelsmann – sie ist der Vermittler. Für Diekmann ist „sehr zweifelhaft“, ob dies schulrechtlich überhaupt abgedeckt ist. Fraglich sei, inwiefern es dem Auftrag der Schulen entspreche, für alle auf dem Markt der Vermittler zu sein, die Verlage somit quasi „auf elegante Weise mit Daten zu versorgen“, sagte der stellvertretende Datenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg.

Dementsprechend läge es nicht nur im Aufgabenfeld der Datenschutzbeauftragten, diese Aktionen zu überprüfen, sondern vor allem auch im Bereich der Kultusministerien der entsprechenden Länder, so Diekmann. Da die Aktion von InmediaOne jedoch schon seit mehreren Jahren laufe, in Bayern beispielsweise seit 2009, „stützen sich scheinbar verschiedene Verlage darauf, dass dies schulrechtlich vereinbar sei“, sagt Diekmann. Er als Datenschutzbeauftragter äußert jedoch massive Zweifel, dass dies dem Auftrag der Schulen entspreche. Ein entsprechender Ansprechpartner im Kultusministerium Baden-Württembergs hat auf eine Anfrage der Deutschen Wirtschafts Nachrichten bisher nicht reagiert.


Mehr zum Thema:  

DWN
Politik
Politik Weltstrafgericht erlässt auch Haftbefehle gegen Netanjahu und Galant - wegen Kriegsverbrechen im Gaza-Streifen
21.11.2024

Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, den früheren...

DWN
Politik
Politik US-Staatsapparat: Tech-Milliardär Elon Musk setzt auf Technologie statt Personal - Unterstützung bekommt er von Trump
21.11.2024

Elon Musk soll dem künftigen US-Präsidenten Trump dabei helfen, Behördenausgaben zu kürzen und Bürokratie abzubauen. Er gibt einen...

DWN
Politik
Politik Neue EU-Kommission: Nach heftigen Streit auf „umstrittenes“ Personal geeinigt
21.11.2024

Nach erbittertem Streit haben sich die Fraktionen im EU-Parlament auf die künftige Besetzung der Europäischen Kommission geeinigt. Warum...

DWN
Panorama
Panorama Merkel-Buch „Freiheit“: Wie die Ex-Kanzlerin ihre politischen Memoiren schönschreibt
21.11.2024

Biden geht, Trump kommt! Wer auf Scholz folgt, ist zwar noch unklar. Dafür steht das Polit-Comeback des Jahres auf der Tagesordnung: Ab...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Prognose: Kryptowährung mit neuem Rekordhoch - geht es jetzt Richtung 100.000 US-Dollar?
21.11.2024

Neues Bitcoin-Rekordhoch am Mittwoch - und am Donnerstag legt die wichtigste Kryptowährung direkt nach. Seit dem Sieg von Donald Trump bei...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Wirecard-Zivilprozess: Ein Musterkläger für 8500 Aktionäre - Kommt eine Entschädigung für Aktionäre?
21.11.2024

Holen sich Wirecard-Aktionäre jetzt eine Milliarden-Entschädigung von EY? Viereinhalb Jahre nach der Wirecard-Pleite geht es vor dem...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Ifo-Umfrage: Industrie bewertet Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit miserabel
21.11.2024

Seit 1994 hat die Industrie ihre Lage nicht mehr so schlecht eingeschätzt, sagt das ifo Institut. Im EU-Vergleich stehen deutsche...

DWN
Panorama
Panorama Finnland startet Ermittlungen zum Kabelschaden in der Ostsee
21.11.2024

Nachdem die schwedischen Behörden bereits tätig wurden, hat nun auch die finnische Kriminalpolizei Ermittlungen zu einem Kabelschaden in...