Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat in einem Interview mit dem Bayrischen Rundfunk erklärt, dass das Milliarden-Debakel beim Berliner Großflughafen keine Verschwendung von Steuergeldern sei.
Auf die Frage des Interviewers Sigmund Gottlieb, ob es nicht schrecklich sei, was bei den diversen Groß-Projekten an Steuergeldern verschleudert werde, sagte Schäuble:
„Moderne Großprojekte sind sehr kompliziert. Sie funktionieren irgendwann auch. Dann ist es auch so: Die Bevölkerung verändert im Laufe eines langen Entscheidungsprozesses oft ihre Einstellung zu solchen Projekten…Der Lärmschutz ist in Brandenburg ständig, auch durch die Rechtsprechung, während der Planungszeit und während der Bauzeit von Berlin-Schönefeld dramatisch verschärft worden – erst jüngst wieder in einem neuen Urteil. Wir stellen auch höhere Ansprüche als Gesellschaft. Das kann man nicht als Verschwendung bezeichnen. Das ist falsch.“
Auf die Frage von Gottlieb, was es denn dann sei, sagte Schäuble:
„Alle Großprojekte in der Geschichte sind immer viel teurer geworden als sie am Anfang geplant waren. Manche haben auch lange gedauert. Denken Sie einmal, wie lange am Kölner Dom gebaut wurde…Wenn Sie die ursprünglichen Kostenschätzungen nehmen und was es am Schluss gekostet hat, wird’s auch anders sein. Wir sollten Dinge auch…Natürlich, ich bin dafür, dass wir Dinge auch ein bisschen schneller machen, und das wird darauf achten, aber wenn wir so komplizierte Umweltschutz- und Lärmschutz und alles wollen – das wollen wir ja -, dann werden die Bauprojekte auch immer anspruchsvoller. Brandschutz zum Beispiel ist ein Riesenthema bei Flugplätzen. Das ist leichter kritisiert als gemacht.“
Gottlieb, der das ganze Interview angenehm angriffig führte (auch wenn er Schönefeld mit Tempelhof verwechselte), bohrte nach und sagte, dass es schon schwer sei, diese Argumentation jemandem, der jetzt seine Altervorsorge dahinschwinden sieht, plausibel zu machen.
Schäubles erstaunliche Antwort:
„Das Problem fängt eben damit an: Jeder will fliegen, auch der mit der Altersvorsorge, der will ja auch noch reisen im Alter, aber keiner will den Fluglärm bei sich haben, sondern lieber woanders. Das ist ja in Berlin das große Thema, wo man die Flugschneisen macht, so, das ist auch das Problem beim Stuttgarter Hauptbahnhof, mit allem Respekt, und in München war es beim Flughafen wahrscheinlich auch… Weil das so ist, müssen wir unseren Mitbürgern wieder und wieder sagen: Leute, wenn wir fliegen wollen, wenn wir Autofahren wollen, wenn wir Bahnfahren wollen…, dann müssen wir auch irgendwo die Straßen bauen, damit gefahren werden kann, und irgendwo die Flugplätze, damit man fliegen kann, sonst funktioniert es nicht.“
Diese Aussagen sind schon bemerkenswert: Nach Schäubles Meinung sind also die Bürger schuld, dass die Großprojekte aus dem Ruder laufen. Niemand in Berlin hat in den vergangenen Jahren gesagt, dass man den Flughafen überhaupt nicht braucht. Das Milliarden-Desaster kommt von einer unverantwortlichen, inkompetenten Planung, die die Politik zu verantworten hat. Was die zahlreichen schweren Baumängel mit der Reiselust der Rentner zu tun haben sollen, kann Schäuble niemandem erklären.
Stuttgart 21 hat die Bevölkerung nicht herbeigesehnt: Es ist ein Projekt, das auf fragwürdigen Passagier-Annahmen beruht, und von dem die Bahn eingesteht, dass es niemals Geld verdienen wird (hier). Ähnliches gilt für die Elb-Philharmonie und alle anderen durch eine unfähige Staatswirtschaft forcierten Mega-Projekte.
Und selbst wenn es so wäre, dass „die Bevölkerung“ die Politiker zwingen würde, sinnlose Projekte zu bauen, dann wäre es die Aufgabe der Politiker, der „Bevölkerung“ zu sagen, dass man es sich nicht leisten kann.
Für all jene, die in Berlin Steuern zahlen müssen und gleichzeitig sehen, wie Schulen und Kindergärten verfallen, das Bildungs-System ausgedünnt wird und die S-Bahn zur Lotterie verkommen ist, sind Schäubles Aussagen ein Schlag ins Gesicht.
Sie sind nur zu erklären mit einer tief sitzenden Verachtung für den Bürger. Kein Wort des Bedauerns für das offensichtliche Versagen des Staates bei den Wahnsinns-Projekten, nicht einmal der Versuch zu versprechen, dass man es in Zukunft besser machen werde oder aber wenigstens so zu kontrollieren, dass nicht jedes dieser Projekte weitere Milliarden verschlingt – das kann nur ein Minister machen, der mit „der Bevölkerung“ nichts mehr zu tun hat.
Gottlieb hatte die Frage nach der Steuer-Verschwendung ganz richtig platziert: Er stellte sie nämlich im Anschluss an eine ausufernde Begründung Schäubles, warum man die Steuerpflichtigen in alle Winkel der Erde verfolgen müsse, da diese ja alle potentielle Steuerhinterzieher seien.
So wird die Gesellschaft auf den Kopf gestellt: Der Steuerzahler wird pauschal kriminalisiert, der Staat muss sich für seine Verschwendung nicht einmal mehr rechtfertigen.
Der Kölner Dom wurde übrigens nicht vor Steuergeldern finanziert: Er war ein Projekt der Kirche in einem feudalistischen System.
Aber dort will Schäuble wieder hin. Nach diesem Auftritt kann man davon ausgehen, dass der Bundesfinanzminister bei keinem Großprojekt schärfere Kontrollen, genauere Planung oder besseres Management einfordern wird.
Der größte Unterschied zwischen dem Schäubleschen Feudalsystem und der katholischen Kirche besteht jedoch darin, dass man aus der Kirche austreten kann, wenn es einem nicht passt.
Dem Staat kann dagegen keiner entrinnen.
Und nun wissen wir, dass wir immer weiter gemolken werden, dass wir für die sinnlosesten Projekte zahlen müssen und uns nicht einmal beschweren dürfen – weil wir ja als Bürger schuld sind an der Maßlosigkeit der Geld-Verschwendung.
So sieht jedenfalls eine politische Elite, die offenbar jeden Rest von Verantwortungs-Bewusstsein und Anstand verloren hat, die Zukunft Deutschlands.
Viel mehr Orwell geht nicht.