Politik

Merkel will wesentliche Teile der Sozialpolitik an Brüssel abgeben

Der EU-Gipfel in Brüssel soll ein weiterer, kleiner Meilenstein auf dem Weg zu mehr Macht für die EU-Kommission werden. Der kalte Putsch läuft unter der Überschrift „Wettbewerbsfähigkeit“ – und bedeutet im Kern, dass die Wirtschaftspolitik in den Nationalstaaten künftig von der EU gemacht werden soll. Kritiker sehen bereits das Konzept „Troika für alle“ am Horizont.
20.12.2013 03:07
Lesezeit: 3 min

Der EU-Gipfel wird, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, eine weitere gravierende Veränderung in Europa vorantreiben: Die Kompetenz für Wirtschafts- und Sozialpolitik soll an die EU-Kommission verschoben werden. Dies wird natürlich nicht in einem plumpen Handstreich geschehen: Die Entmündigung der Nationalstaaten kommt im Gewande freundlicher Begriffe daher. Vordergründig geht es darum, „die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Mitgliedsstaaten zu verbessern“, wie Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung am Montag sagte.

Der Linke Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko warnt vor wohlklingenden Versprechungen wie einer „Partnerschaft für Wachstum, Jobs und Wettbewerbsfähigkeit“. Er sagte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten:

„Es ist bei solchen Gipfeln durchaus üblich, dass neue Vorhaben in blumige Worte gepackt werden, im Kern aber teils drastische Entwicklungen nach sich ziehen. Auch beim EU-Gipfel am 19. und 20. Dezember ist das wieder so. Hinter der ,Partnerschaft‘ verbirgt sich vor allem das, was schon seit einiger Zeit als ,Wettbewerbspakt‘ durch die Medien geistert. Gemeint ist damit das aktuelle Lieblingsprojekt von Kanzlerin Merkel: Alle Mitgliedsländer der Eurozone sollen in bilateralen Verträgen mit der EU-Kommission zu Strukturreformen verpflichten, die die Wettbewerbsfähigkeit der Länder erhöhen soll. Als Belohnung für die Einhaltung dieser ,Reformverträge‘ und die damit verbundene Liberalisierung der Arbeitsmärkte, Privatisierungen und Sozialabbau soll dann ein so genannter Solidaritätsmechanismus eingeführt werden. Wie genau dieser Mechanismus gestaltet wird und was er beinhaltet, ist aber noch unklar.“

Dazu hat Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung das wunderbar unverständliche Wortungetüm der „makroökonomischen Konditionalität“ verwendet, die für die „neue Strukturfondsförderung“ eingeführt werden soll.

Mit diesem bewusst unverständlich gewählten Killer-Wort meint Merkel genau jenen Mechanismus, den auch der IWF in einem neuen Papier vorgeschlagen hat: Die Staaten müssen dazu gezwungen werden, das Wohl der ganzen Gruppe über das Wohl des einzelnen Staates zu stellen (mehr zu diesem revolutionären Konzept – hier).

Andrej Hunko erklärt, was wirklich gemeint ist:

„Es ist dasselbe Prinzip wie es die Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF gegen die krisengeschüttelten Länder vor allem in Südeuropa anwendet: Länder wie Griechenland werden gezwungen, neoliberale Reformen durchzusetzen, wenn sie Kredite erhalten wollen. Der Wettbewerbspakt basiert auf demselben Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche. Deshalb bezeichne ich den neuen Pakt als ,Troika für Alle‘. Denn während bislang nur Länder mit Haushaltsproblemen unter das Troika-Diktat fielen, sollen jetzt alle Eurozonen-Länder dieser ,makroökonomischen Konditionalität‘ unterworfen werden. Das betrifft dann auch die traditionelle Förderung strukturschwacher Regionen.“

Damit wird das Haushaltsrecht in Europa weitgehend ausgehebelt. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik werden fremdbestimmt – nach den Zielen der internationalen Finanz-Eliten und deren vom Steuerzahler finanzierten Finanz-Polizei aus EZB, EU und IWF.

Der IWF betreibt diese Aushöhlung der nationalen Souveränität – zu der auch die Tarifautonomie und die Mitwirkung von Betriebsräten gehören - schon seit 2012 aktiv: Damals hatte der IWF die „Integrated Surveillance Decision“ (ISD) – eine Art freiwillige Überwachungs-Verpflichtung der Mitgliedsstaaten – verabschiedet. Diese Richtlinie ermöglicht es dem IWF, „sich effektiver in der Innenpolitik und Wirtschaftspolitik“ einzelner Staaten „zu engagieren“ (mehr hier).

Diese weitreichenden internationalen Veränderungen erfahren durch die Beschlüsse in Brüssel eine massive Vertiefung in Europa. Die nationalen Parlamente werden davon wenig mitbekommen – ein EU-Papier aus dem Büro Herman Van Rompuys sieht vor, dass die „nationalen Parlamente idealerweise beratend einbezogen werden, bevor die vertraglichen Vereinbarungen mit der Kommission formalisiert werden“. Damit werden die Parlamente zu Folklore-Veranstaltungen degradiert, die zwar ihren Senf dazugeben, auf das Ergebnis jedoch keinerlei Einfluss nehmen können.

Damit wird in Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik die Kompetenz der Gestaltung von der Gesetzgebung auf das Vertragsrecht verlagert. Auf diesem Wege erwirbt die EU-Kommission die Möglichkeit, ihre Interessen – in der Regel die der großen Industrie-Konzerne – rechtsverbindlich in den Nationalstaaten durchzusetzen.

Damit der Putsch nicht allzu offensichtlich wird, brüstet sich die EU – unter der Federführung von Angela Merkel – eines gewaltigen Programms, welches unter dem Titel „Ausbildungsgarantien für Jugendliche“ den Eindruck erwecken soll, dass die EU in der Lage ist, reale Arbeitsplätze zu schaffen. Doch schon die EU selbst zeigt sich in einem Vorbereitungspapier zum Gipfel enttäuscht, dass offenbar viele Staaten „bislang noch keine Umsetzungspläne für Ausbildungsgarantien für Jugendliche vorgelegt haben“. Das ist peinlich für die EU – denn sie hat versprochen, „dass die Beschäftigungsinitiative für Jugendliche ab Januar 2014 in vollem Umfang anlaufen kann.“

Andrej Hunkos Einschätzung dieser Propaganda-Maßnahme:

„Ich gehe davon aus, dass es sich hier mal wieder um einen zahnlosen Tiger handelt. Das katastrophale Krisenmanagement in der EU, das maßgeblich von der deutschen Bundesregierung geprägt wurde, hat in der Tat zu historischen Arbeitslosenzahlen vor allem bei Jugendlichen geführt. Es ist offenkundig, dass in diesem Bereich etwas getan werden muss, wenn man nicht eine ganze Generation dem sozialen Abstieg ausliefern will. Bisher sieht es so aus, als wenn die EU-Kommission den Mitgliedstaaten vorschreiben will, Jugendlichen unter 25 Jahren einen Arbeits-, Ausbildungs- oder Praktikumsplatz zu garantieren. Wie die Länder dies umsetzen sollen bleibt aber schleierhaft – und Sanktionen bei Verstößen sind auch nicht vorgesehen. Es wird wohl bei einer Absichtserklärung bleiben.“

Der EU-Gipfel, der am Freitag zu Ende geht, wird daher keinem einzigen arbeitslosen Jugendlichen in Europa helfen.

Er wird jedoch von jenen mit großem Wohlgefallen betrachtet werden, die ein Interesse an der Besitznahme und Plünderung Europas haben (mehr zu diesen Leuten hier).

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