Finanzen

Schuldenkrise: Bürger sollen Kredite so schnell als möglich tilgen

Lesezeit: 7 min
13.01.2013 23:27
Die private Altersvorsorge läuft aus dem Ruder: Die Kunden zahlen für Produkte, die sie nicht verstehen und deren Risiko sie niemals abschätzen können. Der Bamberger Finanzwissenschaftler Andreas Oehler rät: Statt aus Nervosität in vermeintlich noch attraktivere Anlagen zu gehen, sollten die Bürger die Zeit der Niedrigzins-Politik nützen, um ihre privaten Schulden abzubauen.
Schuldenkrise: Bürger sollen Kredite so schnell als möglich tilgen

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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Herr Oehler, in Ihrem aktuellen Gutachten kommen Sie zu dem Schluss, dass die deutschen Konsumenten jährlich bei der privaten Altersvorsorge und anderen Finanzprodukten 50 Milliarden Euro unnötig Verlust machen. Was sind die grundlegenden Ursachen dafür?

Andreas Oehler: Betroffen sind verschiedene Finanzprodukte, die aus Sicht der Verbraucher aber gleichermaßen für die Altersvorsorge relevant sind. Kapitallebens- und Rentenversicherungen sind z.B. höchst unflexibel. Wenn eine Risikoabsicherung der Familie wichtig ist, warum dann auch noch so teuer und langfristig bei einer Versicherung sparen? Das Hauptproblem ist die extrem lange Bindung, die quasi eine Anpassung an sich ändernde Lebensumstände wie Jobverlust und Scheidung, also Dinge, die im Leben nun einmal passieren, gar nicht erlaubt. Keiner kann letztlich sagen, was in 15, 20 oder 30 Jahren passiert. Insofern sind solche Kombi-Produkte sehr unvernünftig. Passiert etwas, kommt man aus den Verträgen nicht heraus, ohne dass man wirklich viel Geld verliert. Bei Kapitallebensversicherungen, ungeeigneten Angeboten zu Riesterverträgen und privaten Rentenversicherungen entgehen den Verbrauchern allein durch vorzeitige Kündigung oder die mangelnde Ausschöpfung der staatlichen Förderung bis zu 17 Milliarden Euro im Jahr.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was ist die Alternative?

Andreas Oehler: Wenn es um eine Absicherung für die Familie geht, sind alleinige Risiko-Lebensversicherungen die bessere Wahl, weil sie nur das entsprechende Risiko betreffen. Grundsätzlich gilt, beim Anlegen für die Altersvorsorge sollte man zeitlich staffeln und verändern können. Nicht nur hinsichtlich der geringen Rückkaufswerte und der Stornokosten sind Kapitallebens- und Rentenversicherungen alles andere als preiswert. Auch die Vertriebs- und Verwaltungskosten sind oft höher als bei vergleichbaren Anlageprodukten von Banken, Sparkassen oder Fonds, insbesondere im Internet.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wenn die jährlichen Verluste so groß sind, sind dann die Konsumenten schlecht beraten, oder, inwiefern sind sie schlecht beraten?

Andreas Oehler: Zunächst müsste es bei der Altersvorsorge erst einmal darum gehen, abzuschätzen, was ich eigentlich wirklich brauche. Und das Hauptmanko bei „Beratern“, Vermittlern und Verkäufern besteht darin, dass eine solche Analyse eher kurz ausfällt oder teilweise auch gar nicht stattfindet. Wenn man also Verbraucher schon im Beratungsgespräch z.B. darauf hinweisen würde, dass sie sich mit der Unterschrift unter einen Versicherungsvertrag über 10, 15 oder 20 Jahre binden und fragt, ob sie denn überhaupt wissen, was in 10 oder 20 Jahren ist, würden die meisten potentiellen Kunden feststellen, dass sie es gar nicht wissen und dass sie den Abschluss eines solchen Vertrages eigentlich gar nicht verantworten können. Im Glauben ein sicheres Produkt zu kaufen, wird ein hohes Risiko eingegangen, den Vertrag vorzeitig beenden zu müssen, mit hohem Verlust.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist dies das einzige Problem?

Andreas Oehler: Nein, leider nicht. Wenn ein Verbraucher selbst vorsorgen will, muss er herausfinden können, wo man eigentlich ein wirklich preisgünstiges Produkt findet, also wo er bei gleichen Kosten und gleichem Risiko die bestmögliche Rendite erzielt. Noch immer ist es aber so, dass zu in Frage kommenden Finanzprodukten die Informationen weder verständlich und klar, noch sinnvoll zu vergleichen sind. Dies gilt auch für Produkte aus „einer Hand“, also aus einem Finanzkonzern. Nicht nur die Flut an Informationen ist ein Problem, sondern vor allem auch deren Qualität aus Sicht der Verbraucher.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Woran liegt das?

Andreas Oehler: Klar, verständlich und vergleichbar wäre für die meisten Verbraucher, wenn ich zu jedem Anlageprodukt lesen könnte, wie viele Euro ich gewinne oder verliere, wenn es normal, gut oder schlecht läuft. Die Verschleierung mit Prozentsätzen und Quoten hebelt systematisch die eigenverantwortliche Entscheidung der Verbraucher aus. Anbieter, die solche Klartextangaben nicht liefern können oder wollen, würden schnell vom Markt verschwinden. Verbraucher sollten also lernen können, dass unklar und intransparent gekennzeichnete Produkte nichts für sie sind. Wenn man ein Produkt nicht auch in Euro ausdrücken kann, ist es für die meisten Verbraucher per se nicht geeignet. Wir wachsen alle mit dem Bewertungssystem Euro auf und können daher mit Euro ganz gut umgehen, weil wir Bewertungsrelationen bilden können, wie beispielsweise beim Autokauf. Dann können wir verhandeln und darüber reden, vergleichen. Bei Finanzprodukten wird oft verschleiert, weil eben nicht Euro-Beträge ausgewiesen werden. Ich kann also die Produkte nicht wirklich verstehen und ich kann so schon gar nicht vergleichen, mir wird der Referenzmaßstab vorenthalten.

Und andererseits, wenn ich Hilfe in Anspruch nehme, muss ich eigentlich immer auf der Hut sein, dass mir da nicht jemand gegenüber sitzt, der mir etwas Bestimmtes anbieten will, ohne sorgfältig zu prüfen, ob es zu mir passt. Das ist ein zentrales Problem, wir haben eigentlich kaum unabhängige Berater. Man muss immer fragen, wer bietet mir eigentlich aus welchem Grund etwas an. Entweder bekommt ein Verkäufer Geld für das Angebot bestimmter Produkte oder er verdient daran, mich lange zu beraten. Die Stiftung Warentest hat einmal ausgerechnet, dass man allein im Versicherungsbereich im Jahr bis zu 400 Euro sparen könnte, wenn man überflüssige Policen meiden oder zu teure Policen gegen günstigere tauschen würde.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie beurteilen Sie die Produktinformationen, die der Verbraucher von den Anbietern erhält?

Andreas Oehler: Ein zentrales Problem ist bis heute, dass es keine einfach und verständlich formulierten Produktinformationen gibt. Ganz unabhängig davon, dass sich kaum jemand die Mühe machen kann, eine 100-seitige Informationsbroschüre zu lesen, die man gerne auch auf einem USB-Stick oder auf einer CD erhält: Die meisten Informationen lassen sich gar nicht verstehen oder nur unter unverhältnismäßig großem Aufwand. Das ist aber eigentlich notwendig, um zu sehen, ob das Produkt wirklich zu mir passt bzw. ob ich beispielsweise eine Versicherung oder einen Fondsvertrag oder eine Unternehmensbeteiligung abgeschlossen habe, bei der nicht plötzlich etwas passiert, was ich eigentlich gar nicht wollte. Weniger ist mehr, also nicht die schiere Menge an Information ist wichtig, sondern die Qualität, damit ich das jeweilige Produkt verstehe und für mich einordnen kann.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was genau meinen Sie mit Qualität?

Andreas Oehler: Mit Qualität meine ich Informationen, die ich wirklich nachvollziehen kann, mit einer normalen Schulbildung. Wenn ich mir also anschaue, welche Informationen die Verbraucher bekommen, dann sind das zwar viele, aber sie haben nicht die Güte, dass man tatsächlich vorher erfährt, was ein Finanzprodukt für Folgen für die eigenen Finanzen haben kann. Bei vielen Produkten zur Altersvorsorge wird den meisten Verbrauchern von Anfang an quasi gar nicht wirklich die Möglichkeit gegeben, überhaupt zu entdecken, was da vielleicht schief läuft. Oder sie entdecken es viel zu spät. Weil sie dann zum Beispiel eine Auszahlung nicht bekommen haben, von der sie dachten, dass sie ihnen zusteht.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist das nur die Schuld der Anbieter?

Andreas Oehler: Da man in der Politik ja immer gern vom „mündigen“ Verbraucher spricht, würde ich das umdrehen und sagen: Wenn man derartige Informationen mit Gesetzen und Verordnungen so reguliert, dass weiterhin solche aus Verbraucherperspektive qualitativ eher minderwertige Informationen angeboten werden, dann entmündigt man den Verbraucher. Und das ist nicht nur im Versicherungsbereich so, sondern auch bei anderen Finanzprodukten, besonders im grauen Kapitalmarkt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was müsste also getan werden?

Andreas Oehler: Alle Finanzprodukte, die die Verbraucher für eine bestimmte Fragestellung wie z.B. die Altersvorsorge ähnlich empfinden, also Versicherungs-, Bank- und Fondsprodukte sowie offene und geschlossene Immobilienfonds, die allesamt faktisch zur Altersvorsorge verkauft werden, müssten alle identisch reguliert werden. So, dass beispielsweise oben steht: Was bekomme ich für beispielhafte 100 Euro nach zehn Jahren oder nach 20 Jahren. Oder eben auch, was verliere ich gegebenenfalls, wenn‘s schlecht läuft. Aus Anbietersicht kann ich verstehen, dass man das nicht haben möchte, weil eine gepflegte Intransparenz mit vielen Prozentsätzen, Kostenquoten, bunten Grafiken und viel Text natürlich immer eine bessere Verkaufsmöglichkeit bietet. Wenn ich nicht genau zeige, was herauskommt, und ich trotzdem die Produkte verkaufe, dann muss ich hinterher auch weniger Forderungen der Verbraucher fürchten. Wenn ich als Anbieter vorher z.B. klar festlege, dass im Normalfall aus 100 Euro in 20 Jahren 150 Euro werden, dann bin ich auch daran gebunden.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wer profitiert Ihrer Meinung nach am Ende vom Unwissen der Verbraucher - die Banken, die Versicherer oder vielleicht sogar der Staat?

Andreas Oehler: Ich bin überzeugt, dass viele Verbraucher gar nicht unwissend oder gar uninteressiert sind. Nur werden ihnen klare, verständliche Informationen vorenthalten. Es profitieren zunächst alle, die in ihrem Einkommen direkt oder indirekt davon abhängig sind, Finanzprodukte zu verkaufen und zwar durchaus auf Anweisung des Managements – ob diese Produkte nun zu den Kunden passen oder nicht. Ich würde aber jetzt nicht gleich denjenigen, die an der Front stehen dafür verantwortlich machen wollen, das ist schwierig. Wenn man es durchrechnet, sind es letztendlich vor allem die Eigentümer der Banken und Versicherungen oder anderer Anbieter, also oft die Aktionäre, und auch alle, die vom Verkauf Provisionen oder Boni einstreichen. Diejenigen profitieren ja im momentan im Endeffekt doppelt. Nämlich dadurch, dass ihre Produkte verkauft werden, die die Kunden möglicherweise nicht unbedingt als geeignet empfinden würden, wenn sie es durchblicken könnten. Aber natürlich profitieren sie auch vom Staat, der im Zweifel rettet, ungeachtet des problematischen Geschäftsmodells.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Und der Staat?

Andreas Oehler: Beim Staat muss man differenzieren. Wenn es beim „Staat“ um die Entscheidungsträger geht, dann profitiert ein Teil davon, weil sie zeigen können, dass sie aktiv sind, wenn sie ad hoc und scheibchenweise Maßnahmen beschließen. Maßnahmen, die zwar oft sehr unsystematisch sind, aber den Eindruck vermitteln, man sei kompetent und man tue etwas.

Wenn man den Staat allerdings als das Kollektiv aller Bürger oder aller Steuerzahler versteht, dann sieht es schon ein bisschen anders aus. Betrachtet man dieses System langfristig, dann entsteht die Problematik, dass man die staatliche Altersvorsorge immer mehr aushöhlt. Und zwar zu Gunsten einer viel zu teuren privaten oder betrieblichen Vorsorge. Und irgendwann, in 10 oder 20 Jahren, werden sehr viele von uns, die dann noch Steuern zahlen, dafür aufkommen müssen. Es ist eine Art Vermögensverschiebung, die da gerade stattfindet.  Und das ist sehr problematisch.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was wäre die Alternative?

Andreas Oehler: Ich verstehe beispielsweise nicht, warum man nicht, wie etwa in Schweden oder in der Schweiz, in einem Umlagesystem nicht auch andere Einkommensarten sozialversicherungspflichtig macht. Dadurch hätte man die Chance, das bewährte Umlagesystem auf Dauer in Balance zu halten. Wir setzen eigentlich zunehmend auf ein System, das uns Bürger zu teurerer und schlechterer privater Vorsorge anstiftet, ohne dafür zu sorgen, dass wir uns tatsächlich unkompliziert und effektiv selbst absichern können.

Man hat den Eindruck, dass einige politische Entscheidungsträger uns mit der angeblich viel besseren privaten und neuen Verantwortung bis heute weitgehend allein gelassen haben, weil die Voraussetzungen dafür nicht stimmen. Ein Versäumnis, das sich wohl rächen wird. Das Problem ist, wenn ich mich als Staat aus der Daseinsvorsorge zurückziehe, dann hätte ich die Anbieter dazu zwingen müssen, die Informationen so valide anzugeben, dass man sie auch verstehen und verwenden kann. Auch müssten die privaten Produkte mindestens die Qualität und Nachhaltigkeit wie diejenigen der Daseinsvorsorge im Umlagesystem haben. Im Vergleich zu einigen Nachbarstaaten ist diese Vorgehensweise in der Tat eher typisch „deutsch“.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Schaden denn die im Zuge der Schuldenkrise gesunkenen Zinsen derzeit nur?

Andreas Oehler: Das kommt darauf an. Wenn ich beispielsweise in den letzten Jahren eine Immobilie zur Altersvorsorge finanziert habe, dann ist es wichtig, dass ich gute Konditionen besitze, um den Kredit beispielsweise durch Sondertilgungen teilweise zurückzuzahlen. Hier kommen wieder die Verkäufer und Berater ins Spiel. Man sollte beispielsweise überlegen, statt für einen derzeitigen Zins von unter zwei Prozent Geld anzulegen, nicht lieber Verbindlichkeiten zurückzuzahlen. Es gibt wohl nicht sehr viele Berater und Verkäufer, die Wert darauf legen, dass der hilfesuchende Kunde nicht zu niedrigen Zinsen Geld anlegt und neue Verträge schließt, sondern das überschüssige Geld nutzt, um viel eher Schulden zu begleichen, die ja einen höheren Effektivzins haben. Das würde letztlich dem Kunden, wenn er Schulden hat, Geld sparen, nur den Verkäufern keine Provisionen und Boni einbringen.

Auf der anderen Seite kann man die niedrigen Zinssätze derzeit auch nutzen, um umzuschulden. Wenn man beispielsweise vor mindestens zehn Jahren einen Vertrag über einen Kredit mit mehr als zehnjähriger Zinsbindung abgeschlossen hat, dann kann man diesen mit einer halbjährigen Kündigungsfrist kündigen und umschulden. So kann man beispielsweise die sechs, sieben oder mehr Prozent Effektivzins, die beim Abschluss seinerzeit vereinbart wurden, mit einem Vertragswechsel durch niedrigere Zinsen ersetzen. Das spart Geld, weil man die monatliche oder jährliche Rate durch die niedrigeren Zinsen nach der Umschuldung drückt bzw. mehr und schneller tilgen kann.

Die ganze Studie finden Sie hier.


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