Die aktuellen Daten von Eurostat zeigen, dass trotz Sparpolitik die öffentliche Verschuldung in 21 der 27 EU-Mitgliedstaaten im vergangenen Jahr gestiegen ist (hier). Weder Frankreich noch Spanien können in diesem Jahr die von der EU-Kommission geforderte Defizitgrenze einhalten. Doch statt noch härtere Vorgaben zu machen, fordert der Vorsitzende des Wissenschaftsbeirats des Bundesfinanzministeriums, Kai Konrad, nun überraschend die Aufgabe des Sparkurses in Europa.
Konrad ist nicht irgendwer: Er ist in seiner Funktion einer der engsten Wirtschaftsberater der Bundesregierung.
Zwar könne kein Land beliebig viele Schulden machen, ohne Gefahr zu laufen, dass die Anleger „irgendwann den Stecker ziehen“, so Kai Konrad in einem Interview mit der Welt am Sonntag. Doch, wo „die Grenze liegt, ab der ein Staat nicht mehr nachhaltig wirtschaftet, ist aber individuell verschieden“, sagte Konrad. Dies hänge eben unter anderem von der jeweiligen Wachstumsdynamik und Bevölkerungsentwicklung ab.
„Die Länder sollten die Freiheit haben, sich so zu verschulden, wie sie es möchten – unter der Bedingung, dass sie für diese Schulden auch allein die Verantwortung tragen“, erklärt der Vorsitzende des Wissenschaftsbeirats. Man müsse dafür den Bankensektor aber krisenfest machen. „Die Banken sollten sich aus der Staatsfinanzierung am besten ganz zurückziehen.“ Dann könnte man im Falle einer Insolvenz die Gläubiger des jeweiligen Staates zur Kasse bitten, „ohne gleich eine Systemkrise zu riskieren“, sagte Konrad.
Auf die Frage, ob er damit quasi für eine Rückkehr zum Nationalstaat plädiere, sagte Konrad, dass ihm Europa wichtig sei, der Euro jedoch nicht: „Und dem Euro gebe ich mittelfristig nur eine begrenzte Überlebenschance.“ Es sei zwar schwierig, konkrete Zahlen diesbezüglich zu nennen, aber „fünf Jahre klingen realistisch“, so Konrad.
Damit hören wir erstmals aus dem unmittelbaren Berater-Stab der Regierung, dass der Euro kein Langzeit-Projekt mehr ist. Schon seit längerem wird gerätselt, wie Angela Merkel aus der Euro-Krise aussteigen könnte. Diese unverblümte Einschätzung aus der Regierungs-Nähe bestätigt die Vermutung, Angela Merkel könnte einen Plan B haben - der Euro-Ausstieg heißt (mehr hier).
Finanz- und Politik-Kreise bestätigen diese Annahme. Einer, der nicht mit Namen genannt werden will, sagte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten: „Es gibt in der Politik immer einen Plan B. Auch wenn Merkel das nicht an die große Glocke hängt, schon gar nicht vor der Bundestags-Wahl - sie wäre eine schlechte Kanzlerin, wenn sie keinen solchen Plan B hätte.“
Auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso glaubt, dass weitere Sparmaßnahmen am Widerstand der Bevölkerung scheitern werden. Barroso sagte am Montag in Brüssel: „Auch wenn die Spar-Politik fundamental richtig ist, so glaube ich doch, dass wir in vielerlei Hinsicht an Grenzen gestoßen sind. Damit eine Politik erfolgreich ist, muss sie nicht nur richtig geplant sein. Sie benötigt ein Minimum an politischer und sozialer Unterstützung.“
Die Fundamentaldaten belegen die Tatsache, dass Deutschland und der Rest der Euro-Zone weiter auseinander driften. Die Steuereinnahmen sind in Deutschland im ersten Quartal 2013 um 3,4 Prozent gestiegen, allein im März hat Wolfgang Schäuble um 5,7 Prozent mehr Steuereinnahmen verbucht als im März 2012. Hinzu kommen die niedrigen Zinssätze bei den Bunds, die Schäuble in diesem Jahr etwa 11 Milliarden Euro an Kreditkosten ersparen werden.
Von solchen Werten können andere Euro-Staaten nur träumen.
Es hat den Anschein, als trieben die nüchternen Fakten die Euro-Zone auf eine strukturelle Spaltung zu.
Die Bundesregierung scheint sich darauf vorzubereiten, dass die Politik irgendwann den Fakten folgt.
Mit fünf Jahren ist nun erstmals auch ein Zeithorizont benannt.