Kurz vor dem EU-Gipfel vergangene Woche berief EU-Kommissionspräsident Barroso ein Krisentreffen mit EU-Parlamentschef Schulz und dem Iren Enda Kenny ein. Denn ohne Zusage für den neuen mittelfristigen EU-Haushalt für 2014 bis 2016 hätten einige Beschlüsse wie die sechs Milliarden Euro zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit nicht gefasst werden können.
Seit Monaten blockiert ausgerechnet das EU-Parlament den neuen mittelfristigen EU-Haushalt. Eine der Forderungen des Parlaments: Von Anfang sollte diesmal sichergestellt werden, dass der neue Haushalt auch die Möglichkeit gibt, offene Rechnungen der EU begleichen zu können. Diese werden nämlich von Jahr zu Jahr höher und sind im Grunde bereits völlig aus dem Ruder gelaufen (hier).
Also ausgerechnet die EU-Institution, die gemeinhin als einzig wirklich demokratisch legitimierter EU-Korpus gilt, legte bisher stetig ein Veto gegen den Haushalt ein.
Das ist natürlich nicht haltbar – ohne Haushalt kein Geld.
Daher sollte das Parlament in einer Krisen-Sitzung auf Linie gebracht werden.
Die Krisen-Sitzung war dann auch ein voller Erfolg. Barroso sprach von einem „guten Abschluss“ für Europa und seine Bürger:
„Ich freue mich, verkünden zu können, dass wir heute eine politische Einigung über den künftigen Haushalt der Europäischen Union erreicht haben. Der Präsident des Europäischen Parlaments und der Präsidenten des Rates haben mit der Unterstützung der Europäischen Kommission gerade (…) dem mehrjährige Finanzrahmen für die nächsten sieben Jahre für unsere Europäischen Union zugestimmt.“
„Martin (Schulz) und Enda (Kenny) ich danke Ihnen sehr. Wir haben eine echte Kompromissbereitschaft gezeigt. Wir haben die Positionen unserer Institutionen mit großer Kraft aber zur gleichen Zeit mit wahrem europäischen Geist verteidigt.“
Das bedeutet: Die beiden Herren haben die einzige demokratische Einrichtung der EU, das Parlament, außer Kraft gesetzt, und in einem der berühmten Brüsseler Hinterzimmer-Deals beschlossen, wie das Budget aussehen soll.
Doch eigentlich ist der Haushalt nur aufgrund des Treffens dieser drei Politiker noch gar nicht spruchreif. Denn tatsächlich hat das EU-Parlament über den neuen Kompromiss noch gar nicht final abgestimmt. Und angesichts der großen Differenzen zwischen den EU-Institutionen im Vorhinein wäre eine Zustimmung des Parlaments auch gar nicht so sicher.
Doch die Abstimmung wird nur reine Formalie sein.
Das ist meist so in Brüssel, wenn abgestimmt wird.
Das ist eine Form der Demokratie, die eigentlich diesen Namen nicht verdient.
Wozu gibt es ein riesiges EU-Parlament, das vom Steuerzahler bezahlt wird?
Sind die Damen und Herren Abgeordneten wirklich nur reine Staffage?
Die Ankündigung Barrosos ist ein Stück Propaganda, mit der im Vorübergehen die Demokratie ausgehöhlt wird.
Bereits eine Woche zuvor hatte der ehemalige Präsident des Rates, Enda Kenny, nach Verhandlungen mit dem Parlament auch schon eine Einigung verkündet. Erst, als von den Abgeordneten selbst öffentliche Kritik an dieser falschen Aussage geübt wurde, nahm er diese Worte zurück. Denn es war gar keine Einigung erzielt worden (mehr dazu bei Open Europe).
Das Dreiergespräch zwischen Barroso, Kenny und Schulz vom Donnerstag war ein Deal.
Demokratische Bedeutung hat er nicht.
Denn nicht allein Parlamentspräsident Schulz entscheidet über den Haushalt, sondern alle EU-Abgeordneten. Dafür kriegen sie ja auch ihr Geld – könnte man zumindest meinen (hier).
Die eigentliche Abstimmung im Parlament wurde nun nämlich kurzfristig für Mittwoch dieser Woche angesetzt, wie ein Sprecher des EU-Parlaments den Deutschen Wirtschafts Nachrichten sagte.
Es wird ein Abnicken sein.
Dazu verwenden die EU-Bürokraten einen technischen Trick, dessen Bedeutung die meisten Abgeordneten nicht durchschauen werden.
Denn die Abstimmung wird in zwei verschiedene Abstimmungen aufgespalten. Am Mittwoch wird über „die politische Vereinbarung abgestimmt“, gefolgt von einer zweiten, „rein formalen“ Abstimmung nach der Sommerpause im September, so der Sprecher. Diese Aufteilung müsse vorgenommen werden, weil man bis zum Mittwoch nicht alle notwendigen „Rechtstexte“ für den Haushalt fertig haben werde. Das schaffe man nämlich nicht in wenigen Tagen. Letztlich stimmen die Abgeordneten also zunächst ab, ohne eine rechtliche Grundlage für den Haushalt zu haben. Und im Anschluss winken sie die „Rechtstexte“ durch.
Dies sei ja schließlich eine „reine Formsache“.
Auf die Frage, ob denn nicht damit gerechnet werden könnte, dass das Parlament den Haushaltsentwurf zurückweist, antwortete der Sprecher: „Das wird nicht passieren.“ Es werde keine Änderungen, „keine bösen Überraschungen“ geben. Die Verhandlungsführer hätten zugestimmt und „die horchen natürlich bei den Abgeordneten nach“.
Nachhorchen. Ein interessanter Begriff (könnte der NSA gefallen).
Die Möglichkeit, einfach die Abstimmung im September zusammen mit den Rechtstexten vorzunehmen - wenn die Parlamentarier schon auf ihrer wohlverdienten Sommerpause bestehen - ist scheinbar nicht möglich: „Es geht jetzt darum, den politischen Kompromiss festzuzurren und den Nagel drauf zu hauen.“
Darin sah der Sprecher des Parlaments auch kein Problem. Denn es gibt schließlich einen guten Grund, „jetzt auf’s Tempo zu drücken“. Es gebe noch ganz viele Reformpakete, es müsse gesetzgeberisch noch viel gearbeitet werden. Über 70 Gesetzgebungsverfahren und –Projekte hängen an dieser Zusage für den Haushalt, so der Sprecher. „Wir haben nicht mehr viel Zeit, in einem Jahr wird gewählt, und wir müssen in diesem Jahr noch ganz viel durchbekommen.“
Die pro-forma-Abstimmung zeigt, dass selbst die immerhin durch Wahlen befugten EU-Abgeordneten nicht von ihrem Recht in angemessener Weise Gebrauch machen. Denn es gab seit Monaten einen wirklich grundlegenden öffentlichen Widerstand der Parlamentarier gegen den Haushalt. Der ist nun offensichtlich verflogen, trotzdem sich zum vorherigen Haushaltsentwurf nicht wirklich etwas verändert hat.
Und weil jetzt Urlaubszeit ist, haben die Damen und Herren Abgeordneten ihren Widerstand aufgegeben.
Die Farce zeigt das Grund-Dilemma der EU auf.
Es gibt drei Organe, von denen sich eine wichtiger nimmt als die andere: Die Kommission, die für die Gesetzgebung zuständig ist. Der EU-Rat, mit dem die nationalen Regierungschefs der Mitgliedstaaten ihre Einflussnahme sichergestellt wissen wollen. Und das EU-Parlament eben – in dem sich von den EU-Bürgern gewählte Abgeordnete in ihrem pseudo-demokratischen Dunst suhlen.
Während die Regierungschefs im EU-Rat weiterhin versuchen, rein nationale Interessen durchzusetzen, vergeudet die EU-Kommission ihre Zeit mit unnützen Richtlinien über den Krümmungsgrad einer Gurke oder die Wiederverwendung von Olivenflaschen in Restaurants.
In der EU-Kommission wie auch im EU-Parlament finden sich – wen wundert es – denn auch zumeist Politiker, die es in ihren eigenen Heimatländern mit einer erfolgreichen politischen Laufbahn nicht so weit gebracht haben.
Politiker, die nun die stetig die europäische Ebene nutzen, um sich über die Versorgung mit einem weiteren Posten zu freuen.
Wahre Demokraten sind diese Leute nicht.
Sie sind blanke Karrieristen.
Sie haben den EU-Streit als Bühne benutzt, um sich aufzuplustern.
Tatsächlich ist es ihnen völlig egal, wie viele Milliarden wo verschleudert werden.
Die EU-Abgeordneten leben vom europäischen Steuerzahler.
Der soll zahlen und das Maul halten (sonst gibt's Hiebe, wie neulich bei einem unglaublichen Zwischenfall - hier).
Was den Versorgungspolitikern im EU-Parlament dagegen überhaupt nicht egal ist, sind die Sommerferien.
Die beginnen übermorgen.
Daher wird morgen zum letzten Mal geschwitzt.
Und abgenickt, um sich nicht vor dem Urlaub zu verausgaben.
Die staunenden Bürger müssen sich nun gedulden.
Den nächsten Schaukampf gibt es erst wieder in einigen Monaten.