Politik

Europäer verlieren das Interesse an der offiziellen Kultur

Bücher, Museen, Konzerte oder Theatervorführungen für viele Europäer sind das mittlerweile exotische Dinge. Die Statistik zeigt: Am Geld liegt es nicht. Das Interesse der Europäer an ihrem kulturellen Erbe erlischt. 400 Millionen Euro investierte die EU seit 2007 in ein Kulturförderprogramm. Das Projekt bleibt ohne messbaren Effekt. Schafft sich der Kontinent selbst ab? Oder erfindet er sich - ganz woanders - neu?
09.11.2013 23:03
Lesezeit: 2 min

Immer weniger Europäer gehen ins Theater oder lesen ein Buch. Am ehesten wird Kultur über Fernsehen oder Radio konsumiert. Rund 72 Prozent aller EU-Bürger schalteten im vergangenen Jahr zumindest einmal ein kulturelles Programm ein. Das sind sechs Prozent weniger als noch 2007.

An zweiter Stelle: 68 Prozent aller EU-Bürger lesen zumindest ein Mal im Jahr ein Buch, ein Minus von vier Prozent seit 2007. Das ergab der Eurobarometer, eine von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Meinungsumfrage. 27.000 Menschen nahmen teil.

Das Ergebnis: in allen Sparten nahm der Konsum von kulturellen Ereignissen ab. Die einzige Aktivität, die ein Plus erreichte, ist der Kinobesuch. Dort gibt es einen Zuwachs von einem Prozent seit 2007.

Die Zahlen für Deutschland zeigen, dass die Deutschen etwas über dem EU-Schnitt liegen. Insgesamt hat die Teilnahme am kulturellen Leben wie im gesamten EU-Raum abgenommen. Dennoch ist die Beteiligung etwas höher als im EU-Schnitt. So haben 79 Prozent der Deutschen im vergangenen Jahr ein Buch gelesen. 63 Prozent aller Deutschen besuchte eine historische Stätte, wie Kirchen oder Schlösser (52 Prozent im EU-Schnitt). 44 Prozent waren in einem Museum (37 Prozent im EU-Schnitt). 45 Prozent der Deutschen besuchten ein Konzert, zehn Prozent mehr als im EU-Schnitt.

Das Eurobarometer zum Zugang und Beteiligung an Kultur wurde 2007 das erste Mal erhoben. In dem Jahr installierte die EU ein neues Förderprogramm („KULTUR“) mit einem Budget von 400 Millionen Euro. Das Ziel ist, Europas kulturelle Vielfalt über die jeweiligen Landesgrenzen bekannt zu machen. Von 2007 bis 2013 sollten jährlich 250 Projekte und Einzelkünstler unterstützt werden.

Wie das EU-Geld in Deutschland ausgegeben wurde, ist auf der Internetseite des Cultural Contact Point nachzulesen, der nationalen Kontaktstelle für die EU-Kulturförderung. Auf einer Deutschlandkarte sind die einzelnen geförderten Programme ersichtlich: Etwa über 10.000 Euro für eine Buchübersetzung aus dem Englischen oder 100.000 Euro Betriebskostenzuschüsse für eine Berliner Kunstausstellung.

Gebracht hat das Programm wenig, wie das Eurobarometer zeigt. Für 2014 ist ein neues Programm geplant: „KREATIVES EUROPA“ mit einem Budget von knapp 1,3 Milliarden Euro.

Das Internet spielt eine immer wichtigere Rolle beim Kulturkonsum, so die Umfrage. Die Hälft aller Europäer liest Kultur-Artikel online. Gezielt gesucht wird nach Veranstaltungen oder Live-Streams. Die Deutschen sind besonders aktiv. 44 Prozent der Deutschen kaufen online Bücher, CDs und Konzert-Tickets. Sie liegen damit deutlich über dem EU-Schnitt von 27 Prozent.

Aussichtslos ist die Lage jedoch nicht: Im Internet blühen auch die Hochkultur und die hochwertige Unterhaltung. Musikvideos werden millionenfach geteilt. Die Bürger nehmen Anteil an Dingen, von denen sie sonst nie etwas erfahren hätten. Über 80.000 Leute haben das sensationelle Video der Pianistin Maria Joao Pires gesehen, bei dem die Künstlerin aus dem Stand ein anderes Mozart-Konzert spielte, weil das Orchester die falschen Noten vorliegen hatten (Video am Ende des Artikels).

Immer neue Angebote im Internet eröffnen Möglichkeiten, wie der Live-Stream der Berliner Philharmoniker zeigt. Eher unwahrscheinlich, dass so ein „Konzertbesuch“ vom heimischen Wohnzimmer aus in der EU-Statistik gewertet wird.

Vielmehr zeigt sich: Mit Geld ist Interesse an der Kultur nicht zu kaufen.

Auch für Kulturpessimismus gibt es keine Anlass: Wie die Politik ist das kulturelle Engagement in Europa abgewandert aus den etablierten Einrichtungen.

Diese werden von keiner Statistik erfasst.

Und es gibt sie doch.

Wie vieles, was man sich in der EU-Zentrale nicht vorstellen kann.

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