Politik

Stéphane Hessel ist tot: „Empört Euch!“ lebt weiter

Lesezeit: 2 min
27.02.2013 17:17
Der französisch-deutsche Essayist Stéphane Hessel ist tot. 1917 geboren, hat er alles erlebt - und hat daraus radikale Konsequenzen gezogen. Mit seinem Buch „Empört Euch!“ hat er schonungslos mit der unaufhaltsamen Ausbeutung von Welt und Menschen abgerechnet.
Stéphane Hessel ist tot: „Empört Euch!“ lebt weiter

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Ein Auszug von Hessels Buch „Empört Euch!“:

„93 Jahre. Das ist schon wie die allerletzte Etappe. Wie lange noch bis zum Ende? Die letzte Gelegenheit, die Nachkommenden teilhaben zu lassen an der Erfahrung, aus der mein politisches Engagement erwachsen ist: die Jahre des Widerstands gegen Diktatur und Besetzung – die Résistance – und ihr politisches Vermächtnis. Es war Jean Moulin, der vor nunmehr 66 Jahren alle großen politischen Kräfte des besetzten Frankreich – Widerstand, Parteien, Gewerkschaften – im Nationalen Widerstandsrat zusammenführte. In ihm bekannten sie sich zum gemeinsamen Kampf für ihre Ideale unter der einzigen Führungsfigur, in der sie sich alle wiedererkannten: General de Gaulle. Aus London, wo ich im März 1941 zu de Gaulle gestoßen war, erfuhr ich, dass dieser Rat am 15. März 1944 ein Programm verabschiedet hatte, auf dessen Grundsätzen und Werten die Demokratie des befreiten neuen Frankreich ruhen sollte.

Genau diese Grundsätze und Werte sind uns heute nötiger denn je. Wir alle sind aufgerufen, unsere Gesellschaft so zu bewahren, dass wir auf sie stolz sein können: nicht diese Gesellschaft der in die Illegalität Gedrängten, der Abschiebungen, des Misstrauens gegen Zuwanderer, in der die Sicherung des Alters, die Leistungen der Sozialversicherung brüchig geworden sind, in der die Reichen die Medien beherrschen – nichts davon hätten wir zugelassen, wenn wir uns dem Vermächtnis des Nationalen Widerstandsrates wirklich verpflichtet gefühlt hätten.

1945, als das grauenhafte Drama beendet war, setzten die im Nationalen Widerstandsrat vereinigten Kräfte eine Erneuerung ohnegleichen ins Werk. Damals wurde das System der sozialen Sicherheit geschaffen, wie es die Résistance in ihrem Programm vorgestellt hatte: »Ein vollständiger Plan sozialer Sicherheit mit dem Ziel, allen Bürgern, denen dies nicht durch eigene Arbeit möglich ist, die Existenzgrundlage zu gewährleisten«; »ein Ruhestand, der den Arbeitnehmern ein Alter in Würde gestattet«. Die Energieversorgung, Strom und Gas, der Kohlebergbau, die Großbanken sollten verstaatlicht werden. In diesem Sinne forderte das Programm »die Rückgabe der großen monopolisierten Produktionsmittel, der Früchte gemeinsamer Arbeit, der Energiequellen, der Bodenschätze, der Versicherungsgesellschaften und der Großbanken an die Nation«; »die Errichtung einer echten wirtschaftlichen und sozialen Demokratie unter Ausschaltung des Einflusses der großen im Wirtschafts- und Finanzbereich bestehenden privaten Herrschaftsdomänen auf die Gestaltung der Wirtschaft«. Das Gemeinwohl sollte über dem Interesse des Einzelnen stehen, die gerechte Verteilung des in der Arbeitswelt geschaffenen Wohlstandes über der Macht des Geldes. »Eine rationelle Wirtschaftsverfassung, in der die Individualinteressen dem Allgemeininteresse untergeordnet sind, ohne Diktatur der Sachzwänge nach dem Vorbild faschistischer Staaten« – dies als Auftrag an die provisorische Regierung der Republik.

Eine echte Demokratie braucht eine unabhängige Presse. Die Résistance wusste es, forderte sie, trat ein für »die Freiheit der Presse, ihre Ehre und ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Staat, der Macht des Geldes und den Einflüssen aus dem Ausland.« Das wurde bereits ab 1944 in den Presseverordnungen umgesetzt. Und genau dies ist heute in Frage gestellt.

Die Résistance forderte, »dass alle französischen Kinder die effektive Möglichkeit haben sollen, die bestmögliche Erziehung zu erhalten«, ohne Diskriminierung. Die 2008 vorgeschlagenen Reformen sind nicht damit in Einklang zu bringen. Jungen Lehrerinnen und Lehrern, die sich – was ich unterstütze – weigerten, diese Reformen umzusetzen, wurden zur Strafe die Gehälter gekürzt. Sie haben sich aufgelehnt, den Gehorsam verweigert, weil sie diese Reformen nicht im Einklang mit dem Ideal der republikanischen Schule sahen, die zu sehr einer Gesellschaft des Geldes dient und nicht genügend Raum für Kreativität und kritisches Denken gibt.

Dieses gesamte Fundament der sozialen Errungenschaften der Résistance ist heute in Frage gestellt!“

Die Bücher von Stéphane Hessel („Empört Euch!“ und „Engagiert Euch!“) sind im Ullstein-Verlag erschienen.

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Ratgeber
Ratgeber Umweltbewusst und günstig: Hondas Leasing-Modell für die elektrifizierten Fahrzeuge von Honda

Der Managing Director der Honda Bank Volker Boehme spricht mit den DWN über die neuesten Entwicklungen im Leasinggeschäft für die...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Ausstieg aus dem Ausstieg: Schweden baut Kernkraftwerke
30.11.2023

Eigentlich hatten die Schweden per Referendum für das Ende der Kernenergie gestimmt. Doch nun hat das Parlament den Bau weiterer...

DWN
Politik
Politik US-Firmen: Deutschland verliert an Wettbewerbsfähigkeit
30.11.2023

In Deutschland tätige US-Unternehmen blicken mit Sorge auf die Entwicklung des Wirtschaftsstandortes.

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Thailand plant neue Route im Welthandel: Welche Rolle kann die deutsche Wirtschaft spielen?
30.11.2023

Thailand will eine Handelsroute zwischen Pazifischem und Indischem Ozean bauen. Kann die deutsche Wirtschaft eine Rolle bei dem Projekt...

DWN
Politik
Politik Henry Kissinger: Zum Tode des Jahrhundertmanns
26.05.2023

Der frühere Sicherheitsberater und Außenminister der Vereinigten Staaten, Henry Kissinger, ist gestorben. Noch im Mai feierte der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Machtkampf bei Thyssenkrupp: Arbeitnehmer kritisieren Wahl neuer Vorstände scharf
30.11.2023

Die Anteilseigner von Thyssenkrupp haben eine Erweiterung des Vorstandes gegen den Willen der Arbeitnehmervertreter durchgesetzt. Diese...

DWN
Politik
Politik Russland liefert Rekordmengen Gas über TurkStream nach Europa
29.11.2023

Über TurkStream fließen derzeit Rekordmengen Gas nach Europa. Doch die militärischen Angriffe auf die Pipeline halten an. Zudem macht...

DWN
Politik
Politik EU-Kommission fordert Europäisierung der Rüstungsbeschaffung
30.11.2023

Komissionspräsidentin von der Leyen will die Rüstungspolitik der EU stärker gemeinschaftlich aufbauen. Die Forderungen finden auch vor...

DWN
Politik
Politik Rechtsgutachten prüft Berliner Sondervermögen
29.11.2023

Die deutsche Hauptstadt bekommt die Folgen der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nun direkt zu spüren. Jetzt prüft...