Mit dem Giftgasanschlag ist in den Augen des türkischen Außenministeriums ein Ausmaß in Syrien erreicht, das „eine offene Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit bedeutet“. Nun werden Schritte gefordert, die zu einer „Lösung“ des Konflikts führen, sagte ein Sprecher den Deutschen Wirtschafts Nachrichten. Für die Türkei ist ein „demonstrativer Vergeltungsschlag“ nicht ausreichend, sagt auch der in Istanbul lebende Journalist Stefan Hibbeler. Doch für eine Intervention größeren Ausmaßes fehlen Erdogan schlichtweg die Verbündeten.
Genau das fordert allerdings Zbigniew Brzezinski, . „Die Türkei sollte auf jeden Fall offen und direkt an einem Militärschlag beteiligt sein, das wäre das Mindeste“, sagt er der Deutschen Welle.
Wenn Brzezinski so etwas sagt, hat das etwas zu bedeuten: Der ehemalige Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter kennt die Gesetze des Krieges und der gegenseitigen Abhängigkeiten.
Das könnte eine erhebliche Versuchung für die Türkei sein.
Denn er aktuelle Zustand ist unhaltbar: Aufgrund der Krise in Syrien seien teilweise ganze Handelswege blockiert. Die Zahl der Flüchtlinge steigt täglich, der Schmuggel an der Grenzregion floriert, kurdische autonome Gruppen werden immer stärker. Die arabische Welt ist sich uneins in der Syrien-Frage – ein Problem für die wirtschaftlichen Beziehung. „Die Rolle der Türkei als Industrienation des Nahen Ostens ist gefährdet“, so Hibbeler.
Von einem Krieg würde die Türkei profitieren - so hoffen jedenfalls Erdogans Strategen.
Die in den vergangenen Monaten international in Kritik geratene Türkei könnte so erneut eine führende Rolle in der Region einnehmen. Erdogans gefährliches Kalkül könnte darin bestehen, dass er einen Krieg in der Region nützt, um im Windschatten der Amerikaner Terrain zu gewinnen und somit seine eigene Agenda verfolgen.
Mit einem begrenzten Militärschlag der USA ist der Türkei dabei nicht geholfen.
Erst eine Gegenreaktion Syriens mit einem Angriff auf die Türkei als US-Verbündeten, würde dagegen ein Auslöser einer breiteren Reaktion sein.
Stephan Rosiny, vom Leibniz-Institut für Globale und Regionale Sicherheit, glaubt nicht, dass das passiert. Er geht davon aus, „dass sich das Regime und die Streitkräfte vielmehr so gut wie möglich 'wegducken' werden“. Eine syrische Reaktion gegen die Türkei wertet er als „politischen Selbstmord“. Syrien sei sich sehr wohl bewusst, dass daraus eine „Kette von Bündnisverpflichtungen“ resultieren würde. Auch Deutschland wäre dann mit den an der türkisch-syrischen Grenze stationierten Patriot-Raketen am NATO-Gegenschlag beteiligt.
Für Deutschland hätte das weitreichende Folgen: „Würde wirklich ein NATO-Bündnisfall eintreten, was eher unwahrscheinlich ist, müsste sich Deutschland der Verantwortung stellen. Dann würden wahrscheinlich auch die in der Türkei stationierten Patriot-Raketen zum Einsatz kommen.“
Darauf könnte die Türkei setzen: Dass ein Übergriff der Syrer den Bündnisfall auslösen würde. Damit wäre Deutschland automatisch militärisch in den Krieg hineingezogen.
Beobachter glauben noch nicht, dass es dazu kommt - vor allem wegen Assad. Denn der hätte in diesem Fall nichts zu gewinnen.
Für Assad hätte ein solcher Schritt nicht nur internationale Folgen. Assad werde vermutlich „nicht das Risiko eingehen, an mehreren Fronten gleichzeitig zu kämpfen. Damit würde er seine Vormachtstellung im Inland gefährden“, sagt Sebastian Sons vom Orient Institut. Innerhalb Syriens würde Assad dann die militärische Durchsetzungskraft gegen die Rebellen fehlen.
Anders als Erdogans Aussagen suggerieren, ist sich das türkische Parlament über eine Syrien-Intervention nicht einig. Die Opposition ist gegen eine militärische Aktion. Obwohl die AKP die Mehrheit im Parlament stellt, könnte eine Resolution scheitern. Ähnlich geschah das 2003, als eine Beteiligung am Irak-Krieg an drei Stimmen scheiterte.
Doch zehn Jahre später sieht die Lage anders aus. Erdogan ist innenpolitisch angeschlagen, fürchtet das Modell Ägypten: Das Militär könnte ihn stürzen, Massendemonstrationen im Frühjahr waren nur mit brutaler Polizeigewalt niederzuschlagen.
Ein angeschlagener Herrscher ist jedoch gefährlich.
Das gilt nicht nur für Assad.
Deutschland muss in diesen Tagen ganz genau auf die Türkei blicken.
Dort pokern einige mit ganz hohem Einsatz.