Politik

Sparkurs: Frankreich und Italien schmieden Allianz gegen Deutschland

In Europa schließt sich die Anti-Spar-Front: Brüssel, Paris und Rom wollen einen neuen Weg aus der Schuldenfalle. Zu diesem Zweck sollen neue Schulden gemacht werden. Von Deutschland erwarten die Südstaaten Solidarität.
01.05.2013 02:01
Lesezeit: 5 min

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Der neue italienische Ministerpräsident Enrico Letta besuchte am Dienstag Berlin. Anschließend stehen Brüssel und Paris auf dem Reiseprogramm. Bei Angela Merkel ging es eher um die Etikette (siehe die mäßig gehaltvollen Aussagen im Video). In José Manuel Barroso und Francois Hollande sieht Letta dagegen natürliche Verbündete für einen neuen Kurs in Europa: Das deutsche Spardiktat soll gebrochen werden. Die Forderung nach Eurobonds dürfte lauter werden.

Sparprogramme sind tödlich“, sagte Letta bei seiner Regierungserklärung im Parlament. Er sieht sein Land als Opfer einer exzessiven Sparpolitik. Fast im selben Atemzug bekannte er sich zu den „europäischen Sparzielen“. Neue Schulden machen wollen und sich gleichzeitig zu Sparzielen zu bekennen, ist jedoch ein Widerspruch in sich und somit der reinen Rhetorik geschuldet.

Letta präzisierte seine Sicht auf Europa nach dem Besuch bei Angela Merkel:

Wenn Europa nur als Politik der Austerität gesehen wird - das ist in Italien bereits geschehen, aber es wird in Zukunft vielleicht auch anderswo der Fall sein – wird es zu Bewegungen kommen, die anti-europäisch sind. Es wird zu Anti-Europa-Bewegungen kommen, wenn Europa nur unter diesem Blickwinkel gesehen wird. Wenn Europa aber wirklich in der Lage ist, sozusagen Garantie für eine sichere und schuldenfreie Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder zu sein - das ist für einen Familienvater eigentlich das Wichtigste - ,wenn wir die Sicherheit geben, unseren Kindern und Kindeskindern Beschäftigung zu geben, wenn wir ihnen den Eindruck vermitteln, dass wir uns wirklich für Wachstum anstrengen, dann verstehen sie den Sinn meiner gestrigen Worte. Es geht wirklich um eine enorme Anstrengung, die wir aber unternehmen wollen.

Letta möchte Investitionen ankurbeln und hat deutlich das Ende der Sparpolitik eingefordert. Damit steht Letta nicht allein. Zwar gibt es Verträge, die das Schuldenmachen deutlich begrenzen sollen, doch bisher hat sich noch kein Land daran gehalten – und wird es auch in Zukunft nicht tun.

Deshalb wurden bekanntlich die Verträge gebrochen und gröblich missachtet. Man fühlt sich nicht daran gebunden. Vor allem dann nicht, wenn es darum geht, neue Schulden zu machen.

Italien hatte sich mit der Unterzeichnung des Fiskalpakts für die Einhaltung von Schuldengrenzen verpflichtet. Am 12.7.2012 wurde der Fiskalpakt vom Parlament gebilligt. Dieser sieht im Euroraum ausgeglichene Haushalte vor, bei einer Überschreitung des jährlichen Defizits von maximal 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, eine nationale „Schuldenbremse“ und Sanktionen, die zu einem automatischen Defizitverfahren bei zu hohen Schulden führen sollen. Merkel lobte im Bundestag den Fiskalpakt als „Meilenstein der Geschichte in der EU“. Der genannte „Meilenstein“ droht nun vollends im Nirwana zu verschwinden.

Denn jetzt möchte Enrico Letta auf Staatseinnahmen (bei der Abschaffung der Immobiliensteuer, ein Zugeständnis an Berlusconi) in Milliardenhöhe verzichten.

Woher soll aber das Geld kommen, das man für neue Investitionen und Zulagen an Betriebe für die Einstellung von Jugendlichen ausgeben möchte, aber nicht zur Verfügung hat? Die Antwort lautet: neue Schulden machen. Das Staatsdefizit wird erhöht und der Schuldenberg – aktuell bei 2,02 Billionen Euro – wird weiter wachsen.

Das Land verschuldet sich mit seinen Staatsanleihen hauptsächlich bei seinen eigenen Banken, indem diese zu überwiegenden Anteilen die Staatsanleihen aufkaufen. Mario Draghi hält schützend die Hand darüber. Denn EZB-Chef Draghi hat den italienischen Banken versprochen, ihnen jedes mögliche Risiko abzunehmen.

Dabei hat die Europäische Zentralbank mit ihrem SMP-Programm (Securities Markets Programm) im Zeitraum Mai 2010 bis Mai 2012 bereits italienische Staatsschulden für 102,8 Milliarden Euro gekauft – und damit Staatsfinanzierung mit der Notenpresse gebilligt – die nun als unverkäufliche Schrottpapiere in deren Bilanzen schmoren. Vergangenes Jahr erzielte die EZB gar Zinseinnahmen in Höhe von 1,1 Milliarden Euro. Was allerdings nicht die Tatsache aus der Welt schafft, dass sich in den Bilanzen der EZB insgesamt Staatsanleihen in Höhe von 218 Milliarden Euro türmen.

Die Ankäufe von Staatsanleihen waren in keinem Vertrag vorgesehen. Das störte in der Vergangenheit jedoch nur wenige (Ausnahmen sind Bundesbankpräsident Weidmann und einige Abgeordnete im bundesdeutschen Parlament), und es wird auch in Zukunft niemanden stören. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht noch nicht das allerletzte Wort zum beabsichtigten neuen OMT-Programm der EZB gesprochen – im Juni 2013 soll darüber entschieden werden.

Wie soll also die Neuverschuldung für Italien aussehen? Die Citigroup rechnet mit einem Einbruch der Wirtschaft in 2013 um 1,6 Prozent und für 2014 um 1,2 Prozent. Im Jahr 2015 werde die gesamte Staatsverschuldung 142 Prozent des Bruttosozialprodukts betragen. Dabei war das neu angekündigte Verlassen des Sparprogramms des neuen Ministerpräsidenten Letta noch gar nicht mit berücksichtigt.

Letta wird sich also in Brüssel und Paris Verbündete suchen. Hollande pflegte in den vergangenen Tagen die Konfrontation mit Deutschland. Der alleinige Grund: die Sparpolitik. Über den Umweg seiner sozialistischen Partei hieß es in einer Verlautbarung: „in der ganzen EU ist Frankreich das einzige große Land, das eine wahrhaft europäisch gesinnte Regierung habe“. Und Claude Bartolone, Präsident der französischen Nationalversammlung, fügte hinzu, die Haushaltsdisziplin verdamme „die schöne Idee Europa“ anstatt sie zu retten.

Auch in Spanien gärt die Krise. Im letzten Jahr stiegen die spanischen Staatsschulden um 146 Milliarden Euro auf 882 Milliarden Euro. Der Schuldenstand erreichte damit 84 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Obwohl Ende 2013 annähernd 100 Prozent erreicht sein dürften - eine Lockerung der Sparpolitik käme Ministerpräsident Mariano Rajoy sehr gelegen.

Ebenso möchte Portugal den Pfad der Tugend so schnell wie möglich verlassen. Nach Berechnungen der Citigroup wird die Staatsverschuldung von Portugal im Jahr 2015 etwa154 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung erreichen, dennoch ist in Portugal bei steigender Arbeitslosigkeit die Messlatte der Spardiktate längst erreicht.

Die Merkel-Allianz im Euroraum dagegen, die bisher den Konsolidierungskurs mitgetragen hat, schrumpft zusehends. EU-Kommissar Barroso hat vorige Woche schon angekündigt, nun sei genug gespart worden (hier).

Eine konstruktive Diskussion der Sparpolitik ist kaum mehr möglich. Neue Allianzen werden geschmiedet. Fest an Merkels Seite dürfte Premier Cameron stehen, der jedoch in der Eurogruppe nichts oder wenig zu sagen hat, sowie Litauens Präsidentin Grybauskaite, deren Sparpolitik sehr erfolgreich ist.

Kaum noch Merkels Unterstützer dürfte der niederländische Ministerpräsident Rutte sein, der ebenfalls mit einem Haushaltsdefizit zu kämpfen hat. Österreichs Kanzler Faymann hat sich deutlich für Eurobonds ausgesprochen und gehört damit – zumindest aktuell – nicht direkt zu Merkels Allianz. Finnland versucht derzeit mit einem eigenen Venture Fund der Rezession zu entkommen, um nicht sein Triple-A zu gefährden, wie Bloomberg berichtet.

Somit zeichnet sich ab: Hollande und Letta werden alsbald den Konflikt um den Sparkurs mit Merkel und Schäuble austragen. Hollande und Letta sind zwei mächtige Verbündete, da ihre Länder zur zweit- bzw. drittgrößten Wirtschaftsnation im Euroraum gehören. Unterstützt werden sie dabei vermutlich auch von EU-Parlamentspräsident Schulz (SPD) und dem sozialistischen, belgischen Premierminister Di Rupo. Di Rupo setzt sich vehement für eine Kursänderung der Sparpolitik ein und hatte zuletzt – zumindest verbal – den Versuch gestartet, Deutschland wegen des Niedriglohnsektors bei der EU-Kommission anzuzeigen (hier).

Die Zeichen stehen also auf einen Showdown: Die neue Allianz der Südstaaten mit der EU-Kommission wird das Thema Eurobonds auf die Tagesordnung setzen. Mehr Schulden - und Solidarität mit von Deutschland heißt das Rezept.

Damit ist Deutschland isoliert und hat tatsächlich nur noch zwei Alternativen.

Es kann Eurobonds zustimmen.

Oder es kann, wie von George Soros empfohlen, aus dem Euro austreten.

Wie diese Frage beantwortet wird, kann man erahnen, wenn man die Antworten von Letta und Merkel auf eine Journalisten-Frage nach dem Treffen der beiden genau liest:

Frage: Herr Premierminister, aus Deutschland gab es ja große Erwartungen an Ihre Wahl, verbunden mit einem deutlichen Aufatmen, dass es jetzt zu dieser Koalition gekommen ist. Deswegen darf man, glaube ich fragen: Was sind Ihre Erwartungen an die Wahl in Deutschland im September? Glauben Sie, dass das auch eine Abstimmung über die Europapolitik wird?

MP Letta: Ich glaube, dass ich von den italienischen Problemen so überwältigt bin, dass ich Ihnen darauf keine Antwort geben kann. Ich denke auf jeden Fall, dass Deutschland seine Probleme lösen wird - und zwar selbst lösen wird.

BK´in Merkel: Das denke ich auch.

 

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