Der ESM-Vertrag (hier im Original) sieht eigentlich vor, dass Gelder aus dem ESM nur an die Staaten ausbezahlt werden dürfen. Artikel 12 sagt, dass dies nur unter „strengen Auflagen“ erfolgen dürfe.
In Artikel 15 hält der Vertrag zwar fest, dass auch Banken-Rettungen möglich sind.
Diese müssen aber, so ergibt sich eindeutig aus dem Kontext des gesamten Vertrags, über die Staaten abgewickelt werden. Außerdem sollen die Bedingungen für die Banken-Rettung in „der Vereinbarung über eine Finanzhilfefazilität spezifiziert“ werden.
Dies könnte man als Auftrag zu einer Durchführungsverordnung interpretieren. Eine solche „Spezifizierung“ fehlt bisher.
Vor allem fehlt die Formulierung von Auflagen. Dem Geist des ESM-Vertrags würde es entsprechen, dass auch für solche Kredite „strenge Auflagen“ formuliert werden müssen.
Nichts dergleichen ist geschehen.
Wie man am Beispiel Spaniens gesehen hat, ist die Härte der Auflagen keine Frage der rechtlichen Gleichbehandlung aller Mitglieder. Je nach Größe des Staates und der Bedürfnisse seiner Banken sind die Auflagen strenger (Zypern) oder lockerer (Spanien). Vor allem Frankreich legt Wert darauf, dass es die Kriterien seiner Kredit-Vergabe selbst bestimmen kann.
Die nun durchgesickerte Obergrenzen für Banken-Rettungen von 50 bis 70 Milliarden Euro sind daher ein Nebelkerze. Sie verschleiern, dass es für die direkte Banken-Rettung noch keine rechtliche Grundlage gibt.
Die Euro-Retter folgen damit dem bekannten Muster: Zuerst werden Fakten geschaffen und der Kuchen verteilt, danach wird das Recht den Fakten angepasst.
In dem Papier, aus dem die Nachrichtenagentur Reuters zitiert, heißt es:
„Um die hohe Kreditwürdigkeit des ESM und seine Kapazität für andere Instrumente zu erhalten, beschließt der Gouverneursrat (…), den Rahmen für Finanzhilfen, die für das ESM-Instrument der direkten Rekapitalisierung von Institutionen verfügbar sind, auf [50 bis 70] Milliarden Euro zu begrenzen.“
Das klingt zunächst heldenhaft.
Tatsächlich sollen die Bürger in Europa darauf eingestimmt werden, dass der ESM nun – wie selbstverständlich – vorrangig zur Banken-Rettung verwendet werden soll.
Als der Deutsche Bundestag in bemerkenswert uninformierter Weise und mit großer Mehrheit im Sommer 2012 dem ESM-Vertrag zugestimmt hatte, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel die wenigen kritischen Stimmen mit der Versicherung eingelullt, dass die Banken-Rettung nicht die Aufgabe des ESM sei. Erst wenn es eine gemeinsame Banken-Aufsicht gäbe, könne man darüber nachdenken.
Mit dieser Kausalität hatte Merkel den Eindruck erweckt, dass die Banken ihre Bilanzen zunächst in Ordnung bringen müssten. Erst wenn es danach durch krisenhafte Zustände unausweichlich werde, könnten Banken gerettet werden.
Nun aber zeigt sich, dass weder die Banken noch die Staaten ihre Finanzen in Ordnung gebracht haben.
Die Banken zockten, dank des billigen Geldes von Mario Draghi, munter weiter, wie Bundesbank-Präsident Jens Weidmann erst neulich unmissverständlich kritisierte (hier).
Die Staaten machen weiter Schulden, wie die Aufgabe der im als Branmauer gepriesenen Fiskalpakts belegt (mehr hier).
Die Staaten können aber, weil sie wegen der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit nicht sparen könenn, die Last der Banken-Rettung nicht mehr schultern.
Also wird die Banken-Rettung, wie stets bestritten – aber eben scheinbar doch von Anfang an geplant – von den Steuerzahlern der europäischen Nationen übernommen.
Den ersten Versuchsballon starten die Euro-Staaten mit Griechenland: Hier arbeitet die Eurozone nach an einem Geheimplan, demzufolge die 48,2 Milliarden Euro, die zur Rekapitalisierung ihrer Banken erhalten hat, rückwirkend vom ESM übernommen werden sollen (hier).
Auch das ist ein glatter Rechtsbruch.
Denn im Artikel 40 des ESM-Vertrages steht ausdrücklich, dass eine Übernahme von Krediten aus anderen Rettungs-Vehikeln rückwirkend verboten ist. Nur noch nicht ausgezahlte und nicht finanzierte Kredite darf der ESM übernehmen.
Mit solchen Feinheiten dürften sich die Euro-Retter jedoch nicht aufhalten. Sie haben ohnehin das Problem, dass sich angesichts der gigantischen Risiken bei den Banken – vor allem bei den Derivaten – die 500 Milliarden Euro des ESM wie eine Almosen-Veranstaltung ausnehmen.
Doch die Euro-Retter befinden sich in der selbstgestellten Falle.
Die Lage in den krisen-geschüttelten Staaten und ihren Banken ist nämlich seit dem ESM-Vertrag schlechter geworden.
Die EU hat keine Zeit gewonnen, obwohl sie auf Zeit gespielt hat.
Sie hat wertvolle Zeit verloren.
Die Rechnung werden, selbst wenn es nicht reicht, die Steuerzahler in Europa zahlen.
Aber diesen Refrain kennen wir ja schon zur Genüge bei der unendlichen Geschichte der europäischen Schuldenkrise.